Entscheidungsstichwort (Thema)

Vormundschaftsanordnung: Amtsermittlungspflicht des Familiengerichts hinsichtlich der Minderjährigkeit eines unbegleitet eingereisten Flüchtlings

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Voraussetzungen des § 1674 Abs. l BGB, einschließlich die Frage der Minderjährigkeit, sind von Amts wegen durch das Familiengericht zu klären. Dabei darf von einer persönlichen Anhörung des Kindes nur aus schwerwiegenden Gründen abgesehen werden.

2. Steht die Minderjährigkeit eines unbegleitet eingereisten ausländischen jungen Menschen infrage, so hat sich das Gericht unter Ausschöpfung aller verfahrensrechtlich zulässigen Aufklärungsmöglichkeiten Gewissheit über dessen Alter zu verschaffen. Dabei darf es sich nicht allein auf die von der Senatsverwaltung getroffene Altersfeststellung stützen, sondern muss eigene Ermittlungen durchführen. Von diesem Grundsatz darf nicht aufgrund einer "gemeinsamen Absprache" zwischen den beteiligten Behörden und dem Familiengericht abgewichen werden.

 

Normenkette

BGB § 1674 Abs. 1, § 1693; FamFG §§ 26, 49, 159 Abs. 3 S. 1

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Beschluss vom 27.04.2023; Aktenzeichen 166B F 3742/23)

AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Beschluss vom 15.05.2023; Aktenzeichen 166B F 3742/23)

 

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Kreuzberg vom 27.04.2023 in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 15.05.2023 wird zurückgewiesen.

2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Das Verfahren betrifft ein Befangenheitsgesuch des Betroffenen gegen die Rechtspflegerin A und die Justizsekretärin B ....

Mit Schreiben vom teilte das C Klinikum per Fax mit, dass der Betroffene an einer Tuberkulose erkrankt sei und regte die Bestellung einer Vormundschaft an. Es handele sich um einen glaubhaft minderjährig wirkenden, schlanken und zurückhaltenden Patienten. Der Vater des Betroffenen sei verstorben und die Kindesmutter befinde sich in ....

Mit Verfügung vom vermerkte die Rechtspflegerin D, dass die Senatsverwaltung für ... auf Nachfrage mitgeteilt habe, dass der Betroffene in Obhut genommen, die Kostenübernahme geklärt sei und er eine Unterkunft habe. Es liege somit kein dringender Fall zur Anordnung einer Vormundschaft vor, da das Erstgespräch mit dem Minderjährigen noch nicht erfolgt und seine Minderjährigkeit noch nicht festgestellt worden sei. Ein Fall von Tuberkulose sei kein Dringlichkeitsfall, um die Anhörung des Minderjährigen durch die Senatsverwaltung vorzuziehen und somit eine Eilentscheidung zu erzwingen. Die Rechtspflegerin teilte dies dem C Klinikum per Fax mit. Am ... um ... Uhr rief Herr E ...auf der Geschäftsstelle des Amtsgerichts F ... an, der mitteilte, Arzt im C ... Klinikum zu sein. Er bat um Rückruf in der Sache, da er das Schreiben des Gerichts so nicht hinnehmen könne. Er wolle eine Beschwerde nach § 44 aufsetzen. Mit Schreiben vom gleichen Tag teilte die Rechtspflegerin D .... dem C .. Klinikum per Fax mit, dass die Anregung der Vormundschaft beim Amtsgericht eingegangen sei und weiterbearbeitet werde. Da das C... Klinikum nicht Beteiligte des Verfahrens sei, werde keine weitere Auskunft erteilt.

Mit Schreiben vom ..., beim Amtsgericht per Fax um Uhr eingegangen, legte das C Klinikum "Beschwerde gegen die Entscheidung auf Nichtanordnung der Vormundschaft (...) gemäß § 44 FamFG" ein. Auf das Schreiben (Blatt 18 d.A.) wird Bezug genommen. Mit Schreiben vom teilte die Rechtspflegerin D ... dem C Klinikum auf die Beschwerde mit, dass das Vormundschaftsverfahren kein Antragsverfahren und das C Klinikum durch eine Entscheidung nicht unmittelbar betroffen sei. Sie verweise inhaltlich zur Vorgehensweise und zum jetzigen Stand des Verfahrens auf das Schreiben der Rechtspflegerin A vom ... zum Aktenzeichen ..., welches sich nicht in der Akte befindet. Dem Mündel teilte die Rechtspflegerin mit, dass die Sache bearbeitet werde, eine Eilentscheidung derzeit jedoch nicht erlassen werden könne.

Mit Schriftsatz vom ... meldete sich der Verfahrensbevollmächtigte des Mündels und beantragte, das Ruhen der elterlichen Sorge festzustellen sowie im Wege der einstweiligen Anordnung des Jugendamts G ... zum Vormund zu bestellen.

Mit Schreiben vom (Blatt 27 d.A.) teilte die Rechtspflegerin A ... (in Vertretung der Rechtspflegerin D ...) mit, dass es sich bei der Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge nicht um ein Antragsverfahren handele. Das Verfahren sei aufgrund der Hinweise der Klinik am 14. März eingeleitet worden. Das Ruhen der elterlichen Sorge könne nicht durch eine einstweilige Anordnung entschieden werden. Voraussetzung für eine Feststellung nach § 1674 BGB sei unter anderem die Minderjährigkeit des Kindes, die in H ... von der Senatsverwaltung überprüft und festgestellt werde, nicht von dem Familiengericht. Nach Rücksprache mit der Senatsverwaltung befinde sich das Kind auf der Warteliste. Es sei leider eines von vielen Kindern, die auf d...

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