Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit einer Hinauskündigungsklausel in Form einer Vesting-Regelung bei einem Start-up-Unternehmen
Leitsatz (amtlich)
1. Vertragliche Vereinbarungen, die den übrigen Gesellschafter einer GmbH das Recht einräumen, einen Mitgesellschafter ohne sachlichen Grund aus der Gesellschaft auszuschließen ("Hinauskündigungsklauseln"), sind nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, es sei denn, dass eine solche Regelung wegen der besonderen Umstände sachlich gerechtfertigt ist (Anschluss an BGH, Urt. v. 19.9.2005 - II ZR 173/04, BGHZ 164,98).
2. Ein solches Ausschließungsrecht kann im Rahmen einer zeitlich befristen Vesting-Regelung gerechtfertigt sein, wenn sie bei einem Start-up-Unternehmen dazu dienen soll, denn Fortbestand der Gesellschafterstellung eines Gründers mit seinem weiteren Einsatz für das Unternehmen zu verknüpfen.
Normenkette
BGB § 138
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 101 O 148/19) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das am 14.07.2021 verkündete Urteil der Kammer für Handelssachen 101 des Landgerichts Berlin - 101 O 148/19 - durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Der Streitwert für das Berufungsverfahren soll auf 450.000,00 EUR festgesetzt werden.
3. Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe
1. Die nach § 511 Abs. 1 ZPO statthafte Berufung ist gemäß §§ 517, 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist jedoch in der Sache offensichtlich ohne Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO). Nach § 513 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Nach diesem Maßstab hat das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.
a) Soweit der Kläger mit dem Berufungsantrag zu 3) begehrt, die Beklagte zu 1) zu verpflichten, eine Gesellschafterliste der Beklagten zu 1) zum Handelsregister einzureichen, die ihn als Inhaber von 800 Geschäftsanteilen im Nominalwert von jeweils 1,00 EUR mit den laufenden Nummern 4 bis 803 ausweist, ist die insoweit zulässige Klage unbegründet.
Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass der Kläger seine Stellung als Gesellschafter der Beklagten zu 1) dadurch verloren hat, dass die Beklagten zu 2) und zu 3) sein Kauf- und Abtretungsangebot aus dem als Anlage K 7 vorliegenden Shareholders' Agreement der Beklagten zu 1) vom 19.11.2018 (im Folgenden: Shareholders' Agreement) am 06.09.2019 durch Erklärung gegenüber dem Notar Dr. T. L. (vgl. Anlage K 1) angenommen haben. Die Abtretung der Geschäftsanteile ist ebenso wie der zustande gekommene Kaufvertrag wirksam.
aa) Entgegen der Ansicht des Klägers enthält die in Ziff. 1.2 und 1.3.3 des Shareholders' Agreement vereinbarte Erwerbsoption ein wirksam bedingtes Angebot auf Verkauf und Abtretung seiner Geschäftsanteile an der Beklagten zu 1) an die Beklagten zu 2) und zu 3). Die Regelung ist entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind in den Personengesellschaften und der GmbH gesellschaftsvertragliche Regelungen, die einem Gesellschafter, einer Gruppe von Gesellschaftern oder der Gesellschaftermehrheit das Recht einräumen, einen Mitgesellschafter ohne sachlichen Grund aus der Gesellschaft auszuschließen ("Hinauskündigungsklauseln"), zwar grundsätzlich wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig (BGH, Urteil vom 19.09.2005, II ZR 173/04, Rn. 10 (juris) m.w.N.). Dasselbe gilt für eine neben dem Gesellschaftsvertrag getroffene schuldrechtliche Vereinbarung, die zu demselben Ergebnis führen soll (BGH, Urteil vom 09.07.1990, II ZR 194/89, Rn. 13 (juris) m.w.N.; BGH, Urteil vom 19.09.2005, II ZR 173/04, Rn. 10 (juris) m.w.N.). Der von einer freien Ausschließungsmöglichkeit betroffene Gesellschafter ist grundsätzlich schutzwürdig, weil die freie Ausschließungsmöglichkeit von ihm als Disziplinierungsmittel empfunden werden kann, das ihn daran hindert, von seinen Mitgliedschaftsrechten nach eigener Entscheidung Gebrauch zu machen und seine Mitgliedschaftspflichten zu erfüllen ("Damoklesschwert") (BGH, Urteil vom 13.07.1981, II ZR 56/80, Rn. 17 ff. (juris) m.w.N.; BGH, Urteil vom 19.09.2005, II ZR 173/04, Rn. 10 (juris) m.w.N.). Allerdings kann eine an keine Voraussetzungen geknüpfte Hinauskündigungsklausel oder eine vergleichbare schuldrechtliche Regelung ausnahmsweise wirksam sein, wenn sie wegen besonderer Umstände sachlich gerechtfertigt ist (BGH, Urteil vom 09.07.1990, II ZR 194/89, Rn. 15 (juris) m.w.N.; BGH, Urteil vom 19.09.2005, II ZR 173/04, Rn. 11 (juris) m.w.N.). So hat der Bundesgerichtshof in verschiedenen - auch von den Parteien diskutierten - Fallkonstellationen freie Ausschließungsrechte als (ausnahmsweise) sachlich gerechtfertigt und wirksam angesehen (...