Zulässigkeit von Hinauskündigungsklauseln in Form einer Vesting-Regelung bei Start-ups
Nach dem Einstieg von Investoren in ein Unternehmen ist es üblich, für Gründer sog. Vesting-Klauseln zu vereinbaren. Eine Vesting-Klausel ist eine vertragliche Regelung, die festlegt, dass ein Gründer das Recht auf bestimmte Anteile erst über einen festgelegten Zeitraum erwirbt, der meist über drei bis vier Jahre dauert. Vesting-Regelungen sollen die Gründer an das Unternehmen binden und sie motivieren, weiterhin ihr gesamtes Know-how einzubringen. Verlässt ein Gründer das Unternehmen vor dem Ende des Vesting-Zeitraums, behält er nur die Anteile, die er bis zu diesem Zeitpunkt während des Vestings verdient hat. Die ersten Anteile werden oft jedoch erst nach dem ersten Jahr freigegeben (sog. Cliff). Das KG Berlin entschied jüngst, dass eine Hinauskündigungsklausel in Form einer Vesting-Regelung eines Start-ups wirksam sein kann. Die gegenständliche Klausel sah vor, dass ein Gesellschafter bei ordentlicher Kündigung seines Beschäftigungsverhältnisses mit der Gesellschaft im ersten Jahr des Vesting-Zeitraums seine Anteile auf Wunsch der Mitgesellschafter an diese abtreten muss.
Sachverhalt
Die Beteiligten stritten im Berufungsverfahren über die Gesellschafterstellung des Klägers, der Mitgründer der C-GmbH war. Diese Gesellschaft, ursprünglich als UG gegründet, schloss einen Investmentvertrag mit Investoren ab, die 1,373 Millionen Euro gegen Ausgabe von Anteilen investierten. Im Rahmen des Vertrags unterwarfen sich die Gründer einem Vesting und mussten eine entsprechende Ausscheidensregelung für ihre Holdinggesellschaft festlegen, die vorsah, dass die Gründer bei ordentlicher Kündigung ihrer Beschäftigungsverhältnisse im ersten Jahr des dreijährigen Vesting-Zeitraums sämtliche Geschäftsanteile verlieren. Der Kläger wurde freigestellt und verhandelte ein halbes Jahr über sein Ausscheiden, das schließlich durch ordentliche Kündigung bestätigt wurde. Der Kläger war der Ansicht, dass die Erwerbsoption über seine Anteile gegen die guten Sitten verstieße und damit unwirksam sei. Das Landgericht Berlin wies seine Klage in der Vorinstanz ab. Die Berufung des Klägers vor dem KG Berlin hatte keinen Erfolg.
Beschluss des KG Berlin
Das KG Berlin stellte in seinem Hinweisbeschluss unter anderem fest, dass eine Hinauskündigungsklausel in Form einer zeitlich befristeten Vesting-Regelung wirksam ist, wenn sie bei einem Start-up dazu dienen soll, den Fortbestand der Gesellschafterstellung eines Gründers mit seinem weiteren Einsatz für das Unternehmen zu verknüpfen.
Hintergrund und Begründung
Das KG bezieht sich zunächst auf die Rechtsprechung des BGH. Dieser sieht Hinauskündigungsklauseln, bei denen den übrigen Gesellschaftern einer GmbH das Recht eingeräumt wird, einen Mitgesellschafter ohne sachlichen Grund aus der Gesellschaft auszuschließen, grundsätzlich als nichtig an. Der betroffene Mitgesellschafter ist nämlich nicht mehr in der Lage, von seinen Mitgliedschaftsrechten in der Gesellschaft Gebrauch zu machen und seine Mitgliedschaftspflichten zu erfüllen. Denn die freie Hinauskündigungsmöglichkeit kann von ihm als Disziplinierungsmittel empfunden werden und ihn hindern, seine Mitgliedschaftsrechte zu gebrauchen ("Damoklesschwert"). Hinauskündigungsklauseln sind nur ausnahmsweise gerechtfertigt, wenn ein sachlicher Grund vorliegt. Liegt ein vorwerfbares Verhalten eines Gesellschafters vor, ist eine sachliche Rechtfertigung deutlich leichter zu begründen (Bad Leaver Event). Handelt es sich hingegen – wie hier bei der ordentlichen Kündigung – um kein vorwerfbares Verhalten (Good Leaver Event), sind die Hürden für die sachliche Rechtfertigung einer Hinauskündigungsklausel höher. Stets ist jedoch eine Gesamtbewertung aller relevanten Umstände des Einzelfalls erforderlich.
Das KG Berlin stellt klar, dass es gerechtfertigt sein könne, einen Gründer während des ersten Jahres des insgesamt dreijährigen Vesting-Zeitraums durch eine Hinauskündigungsklausel vollständig aus seiner Gesellschafterstellung zu drängen. Zwar könne der Gründer um die Früchte seines bisherigen Beitrags zum (künftigen) Erfolg des Unternehmens gebracht werden. Ein bestimmter Zeitraum, hier das erste Jahr, könne allerdings genutzt werden, um etwaige Differenzen zwischen den Gesellschaftern auszuräumen und tragfähige Kompromisse zu finden.
Derartige Regelungen lägen nach dem Senat im Interesse sowohl der Investoren als auch der Gründungsgesellschafter: Investments in Start-ups bringen für die Investoren Unsicherheiten mit sich, insbesondere darüber, ob das Unternehmen die Start-up-Phase erfolgreich übersteht. Die Investoren müssten sich darauf verlassen, dass die Gründer sich mit ihrem Know-how und Arbeitseinsatz weiterhin voll in das Unternehmen einbringen, insbesondere weil die Gründer ihnen keine klassischen Sicherheiten bieten können. Gleichzeitig könne ein Interesse daran bestehen, die Gründer zeitlich begrenzt einer Bewährungsprobe zu unterziehen, damit nicht bereits im Rahmen der Investmententscheidung der Vertrauensvorschuss restriktiver gehandhabt oder mit erhöhtem Ausfallrisiko kalkuliert werden muss.
Das KG betrachtet hier nicht nur die Perspektive der Investoren und ihr finanzielles Risiko, sondern hebt auch hervor, dass die Vesting-Regelung im ex-ante Interesse der Gründer liege. Entscheidend sei, dass so die (dringend nötigen) finanziellen Mittel eingeworben und möglichst einfach (künftige) Unstimmigkeiten im Gesellschafterkreis gelöst werden können, ohne dass es auf die sukzessive Rückübertragung der Anteile ankäme. In dieser für das Unternehmen wichtigen Phase sei es daher gerechtfertigt, den Fortbestand der Gesellschafterstellung des Gründers mit seinem weiteren Einsatz für das Unternehmen zu verknüpfen.
Praxistipp
Der vorliegende Beschluss verdeutlicht, dass eine Hinauskündigungsklausel auch ohne ein vorwerfbares Verhalten wirksam sein kann, sofern sachliche Rechtfertigungsgründe vorliegen. Der Hinweisbeschluss des KG Berlin folgt konsequent der BGH-Rechtsprechung zu Hinauskündigungsklauseln. Der BGH hat bereits zuvor in mehreren Einzelfällen sachliche Rechtfertigungsgründe angenommen, wie beispielsweise bei der vorübergehenden "Probezeit" eines neuen Gesellschafters in einer Praxisgemeinschaft.
Eine Vesting-Regelung trifft zudem meist Regelungen zur Abfindungshöhe. Das KG lässt jedoch offen, ob bei einer Good-Leaver-Klausel eine Abfindung zum Nominalpreis angemessen ist, da eine angemessene Abfindung die vereinbarte ersetzen könnte. Nach ständiger Rechtsprechung gilt die Verkehrswertabfindung als Regelfall. Einschränkungen sind nicht unbegrenzt zulässig. In der Praxis werden häufig je nach Leaver-Event prozentuale Abschläge vom Verkehrswert vorgenommen. Denkbar sind etwa minus 40 % beim Bad Leaver und minus 20 % beim Good Leaver. Zudem unterscheidet man, ob bereits erdiente Anteile verloren gehen oder nur nicht erdiente Anteile zurück zu übertragen sind. Beim Bad Leaver ist eine Abfindung zum Nominalwert üblich, da dies den Anschaffungskosten entspricht. Beim Good Leaver werden meist nur nicht erdiente Anteile zum Nominalwert zurückübertragen.
Die Abfindung zum Nominalpreis oder mit geringem Aufschlag kann auch beim Good Leaver gerechtfertigt sein. Das KG betont, dass das Start-up durch Investorenkapital erheblich an Wert gewinnt, während die Gründer diesen Wert erst über die Zeit erarbeiten müssen.
In der Praxis empfiehlt es sich, bei Rückübertragungen Auffangklauseln zu verwenden. Diese regeln, dass die niedrigste zulässige Abfindung gilt, wenn ein Gericht die ursprüngliche Abfindungsregelung für unwirksam erklärt.
(KG Berlin, Hinweisbeschluss v. 12.8.2024, 2 U 94/21)
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