Leitsatz (amtlich)

1. Schon im Bereich wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche, für welche § 12 Abs. 1 UWG regelt, dass zu ihrer Sicherung einstweilige Verfügungen auch ohne die Darlegung und Glaubhaftmachung der in den §§ 935 und 940 ZPO bezeichneten Voraussetzungen erlassen werden können, ist anerkannt, dass der Antragsteller zur Wahrung dieser Dringlichkeitsvermutung alles in seiner Macht Stehende zu tun hat, um einen möglichst baldigen Erlass der einstweiligen Verfügung zu erreichen. Gibt der Antragsteller durch sein Verhalten aber selbst zu erkennen, dass es ihm nicht eilig ist, widerlegt er die Dringlichkeitsvermutung.

2. Die zum Wettbewerbsrecht entwickelten Grundsätze der Selbstwiderlegung einer für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderlichen Dringlichkeit gelten erst recht, wenn für den geltend gemachten Verfügungsanspruch die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG von vornherein nicht greift, der Verfügungsgrund nach §§ 935, 940 ZPO vielmehr dargelegt werden muss.

3. Über das Erfordernis einer (bloßen) Dringlichkeit hinaus muss der Antragsteller ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis dafür haben, seine Ansprüche nicht im grundsätzlich dafür vorgesehenen Klagewege, sondern - auch und zuerst - im summarischen Eilverfahren zu verfolgen.

4. Legt ein Antragsteller seinen Antrag bei einem von ihm selbst für unzuständig gehaltenen Gericht ein und provoziert er damit einer Verweisung des Verfahrens, gibt er regelmäßig zu erkennen, dass es ihm nicht (mehr) eilig ist.

5. Geht der Antragsteller solchermaßen vor, weil er erreichen möchte, dass das von ihm für unzuständig gehaltene aber gleichwohl angerufene Gericht das Verfahren an das von ihm tatsächlich gewünschte Gericht (mit Bindungswirkung, § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO) verweist, lässt sich dieses taktisch geprägte Verhalten als wertungsmäßig vergleichbar mit einem rechtsmissbräuchlichen "forum-shopping" begreifen.

6. Dabei kann dahinstehen, ob letzterer Gesichtspunkt bereits im Rahmen der Dringlichkeitsschädlichkeit oder jedenfalls im Rahmen des Verfügungsgrundes im weiteren Sinn als ergänzender Umstand herangezogen wird, oder ob er - dogmatisch eigenständig - als dem Rechtsschutzbedürfnis entgegenstehend angesehen wird.

7. Der Senat nimmt den für einen Anspruch auf Unterlassung unerbetener Werbe-E-Mails anzusetzenden Gegenstandswert in gefestigter Rechtsprechung mit 3.000,- Euro an, und zwar unabhängig davon, ob der Adressat des E-Mail-Schreibens hierdurch in seiner Privatsphäre betroffen ist oder ob das E-Mail-Schreiben den Adressaten unter einer beruflich oder gewerblich genutzten Adresse erreicht.

8. Die Zusendung weiterer E-Mail-Werbeschreiben durch einen Absender rechtfertigt nach der ebenfalls gefestigten Rechtsprechung des Senats einen Zuschlag von jeweils 1/3 oder - bei mehreren E-Mail-Schreiben, die in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zueinander stehen - von jeweils 10 % des Ausgangswertes.

9. Wendet sich der wegen der unerbetenen E-Mail-Werbung in Anspruch Genommene allerdings noch im Nachgang zu einer an ihn gerichteten Abmahnung mit weiteren E-Mail-Schreiben an den Anspruchsteller, kommt einem solchen E-Mail-Schreiben mit Rücksicht auf die durch die Abmahnung begründete Zäsur und der in einer Missachtung derselben zum Ausdruck kommenden Hartnäckigkeit des Werbenden grundsätzlich kein geringerer Angriffsfaktor als der ersten Werbe-E-Mail zu. Für diesen Fall ist daher für eine Verringerung des Gegenstandswertes für das weitere E-Mail-Schreiben grundsätzlich kein Raum. Ist allerdings der im Nachgang zu einer Abmahnung versandten E-Mail-Werbung gleichwohl eine nur untergeordnete Bedeutung beizumessen oder bestehen sonstige Anhaltspunkte dafür, dass die neuerliche Ansprache des Unterlassungsgläubigers nicht der Gleichgültigkeit des Werbenden gegenüber dem geltend gemachten Unterlassungsverlangen geschuldet ist, kann dem Angriffsfaktor dieser Werbung im Ausgangspunkt wiederum durch den Ansatz eines Gegenstandswerts nach dem jeweils in Betracht kommenden verringerten Satz hinreichend Rechnung getragen werden.

10. Der Gebührenstreitwert ist vom Zuständigkeitsstreitwert zu unterscheiden. Die nach gefestigter Rechtsprechung des Senats bei Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung für den Gebührenstreitwert vorzunehmende Kürzung auf 2/3 des Hauptsachewerts gilt für den Zuständigkeitsstreitwert nicht.

 

Normenkette

GKG § 53 Abs. 1 Nr. 1; ZPO §§ 3, 935, 937 Abs. 1, § 940

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Beschluss vom 12.07.2023; Aktenzeichen 52 O 186/23)

 

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 12.07.2023 - 52 O 186/43 - wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.

2. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.400,- Euro festgesetzt. Der Wert für das erstinstanzliche Verfahren wird in Abänderung des Beschlusses des Landgerichts Berlin vom 12.07.2023 - dort im Ausspruch zu 3. - ebenfalls auf 3.400,- Euro festgesetzt.

 

Gründe

A. Der Antragsteller, ein Rechtsanwalt, re...

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