Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem negativen Kompetenzkonflikt zwischen einem Spruchköper mit einer Spezialzuständigkeit nach §§ 72, 119a GVG und einem allgemeinen Spruchkörper desselben Gerichts ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nur dann entsprechend anwendbar, wenn sich die Zuständigkeit unmittelbar aus der gesetzlichen Regelung in §§ 72, 119a GVG ergibt. In allen anderen Fällen ist das Gerichtspräsidium zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts berufen.
2. Eine rechtskräftige Unzuständigkeitserklärung i.S.v. § 36 Abs. 1 ZPO setzt eine Entscheidung des gesamten Spruchkörpers voraus. Eine bloße Abgabeverfügung des Vorsitzenden ist deshalb nicht ausreichend.
Normenkette
GVG §§ 21e, 79a, 119a; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
Tenor
Eine Zuständigkeitsbestimmung wird abgelehnt.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte wegen Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrags auf Schadensersatz in Anspruch. Der Kläger betreibt ein Autohaus und war zugleich Geschäftsführer der P. B. GmbH (B. GmbH). Er beauftragte die Beklagte im Jahr 2013 mit der Geltendmachung eines Zahlungsanspruchs aus eigenem sowie abgetretenem Recht gegen die A. Versicherung AG (A. AG), bei der die B. GmbH eine Betriebshaftpflichtversicherung unterhielt. Der Kläger behauptet, er habe die B. GmbH mit der Lackierung eines Kundenfahrzeugs beauftragt. Aufgrund der fehlerhaften Ausführung der Arbeiten sei ein Schaden entstanden, den die A. AG nur teilweise reguliert habe. Die mit der Durchsetzung des restlichen Zahlungsanspruchs gegen die A. AG in Höhe von 5.733,75 Euro beauftrage Beklagte habe die Forderung pflichtwidrig verjähren lassen, weshalb sie zum Schadensersatz und zur Rückzahlung des gezahlten Anwaltshonorars verpflichtet sei.
Das Landgericht hat die Klage mit dem vom Kläger angefochtenen Urteil abgewiesen. Mögliche Schadensersatzansprüche seien jedenfalls verjährt. Die Abgabe eines zum Neubeginn der Verjährung führenden Anerkenntnisses habe der Kläger nicht beweisen können. Darüber hinaus sei aber auch schon eine Pflichtverletzung des Anwaltsvertrags nicht ersichtlich. Schließlich fehle es an substantiiertem Vortrag zu einem kausalen Schaden. Dies gelte auch, soweit die Beklagte mit der Durchsetzung abgetretener Ansprüche des namentlich nicht bezeichneten Kunden und Fahrzeugeigentümers sowie der BBal GmbH beauftragt worden sei.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, die zunächst an den für Streitigkeiten aus Versicherungsvertragsverhältnissen zuständigen 6. Zivilsenat des Kammergerichts gelangt ist. Dieser war der Auffassung, dass eine Streitigkeit nach § 119a Abs. 1 Nr. 4 GVG nicht vorliege und hat die Sache mit einer Verfügung seines stellvertretenden Vorsitzenden an den im Turnus zuständigen Senat für BGB-Sachen abgegeben. Die Vorsitzende des hierauf mit der Sache befassten 9. Zivilsenats hat die Übernahme des Verfahrens mit einer den Parteien des Rechtsstreits nicht bekanntgegebenen formlosen Verfügung vom 21. Oktober 2022 abgelehnt. Die Beklagte sei ausweislich des landgerichtlichen Urteils auch mit der Durchsetzung von Ansprüchen aus einem Versicherungsvertragsverhältnis beauftragt gewesen. Daher greife hier die Regelung in Rn. 21 des Geschäftsverteilungsplans des Kammergerichts und der Rechtsstreit falle in die Zuständigkeit des 6. Zivilsenats. Der 6. Zivilsenat hat sich hierauf mit einem den Parteien mitgeteilten Beschluss vom 3. November 2022 förmlich für unzuständig erklärt und die Sache dem erkennenden Senat zur Bestimmung des zuständigen Spruchkörpers vorgelegt.
II. 1. Der erkennende Senat ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Spruchkörpers berufen, weil beide an dem Zuständigkeitsstreit beteiligten Zivilsenate dem Kammergericht angehören und das im Rechtszug zunächst höhere Gericht der Bundesgerichtshof wäre. Die funktionelle Zuständigkeit des erkennenden 2. Zivilsenats ergibt sich aus dem durch das Präsidium beschlossenen Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 2022 (Arbeitsgebiet Ziff. 6)).
2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung in entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen aus mehreren Gründen nicht vor. Eine Bestimmung des funktional zuständigen Spruchkörpers käme in der hier vorliegenden Konstellation allerdings grundsätzlich in Betracht. Zwar setzt § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nach seinem Wortlaut voraus, dass sich verschiedene Gerichte (und nicht einzelne Spruchkörper) rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. Die Vorschrift ist jedoch entsprechend anwendbar, wenn mehrere Spruchkörper des gleichen Gerichts um ihre Zuständigkeit streiten und die Entscheidung des Kompetenzkonflikts nicht von der Auslegung des Geschäftsverteilungsplans, sondern von einer gesetzlichen Zuständigkeitsregelung abhängt. Dies gilt nach allgemeiner Auffassung auch für die von dem Gesetzgeber neu geschaffenen §§ 72a, 119a GVG (BGH, Beschluss vom 26. Juli 2022 - X ARZ 3/22, NJW 2022, 2936 Rn. 12 ff.; Senat, Beschluss vom 22. März 2018 - 2 AR 11/18, NJW-RR 2018, 212; OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. April 20...