Leitsatz (amtlich)

Die durch die Teilnahme des Anwalts am Ortstermin des gerichtlichen Sachverständigen entstandene Terminsgebühr (Nr. 3104 RVG-VV; Vorbemerkung 3 Abs. 3 RVG-VV) ist regelmäßig nach § 91 ZPO erstattungsfähig, ohne dass die Notwendigkeit der Terminsteilnahme besonderer Darlegung bedarf.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Beschluss vom 09.11.2006; Aktenzeichen 8 OH 5/05)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des LG Berlin vom 9.11.2006 - 8 OH 5/05 - dahin geändert, dass die Antragsteller an die Antragsgegnerin weitere Kosten i.H.v. 676,51 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.9.2006 zu erstatten haben.

Die Antragsteller haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte nach einem Wert von 676,51 EUR zu tragen.

 

Gründe

Die gem. §§ 104 Abs. 3, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 ZPO, § 11 Abs. 1 RPflG statthafte und in zulässiger Weise eingelegte sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet. Die nach RVG-VV Nr. 3104, Vorbemerkung 3 Abs. 3 RVG-VV durch die Teilnahme des Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin am Ortstermin des gerichtlich bestellten Sachverständigen vom 23.1.2006 angefallene 1,2-fache Terminsgebühr i.H.v. 676,51 EUR brutto ist zu erstatten, da die Teilnahme eine zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendige Maßnahme i.S.v. § 91 Abs. 1 ZPO darstellte.

Bei der Annahme, dass gesetzliche Gebühren des Anwalts der obsiegenden Partei wegen fehlender Notwendigkeit der zugrunde liegenden Maßnahme nicht zu erstatten seien, ist Zurückhaltung geboten (vgl. BGH v. 17.12.2002 - X ZB 27/02, MDR 2003, 414 = BGHReport 2003, 355 = NJW 2003, 1324, 1325). Ein Grundsatz, dass die Teilnahme des Anwalts am Ortstermin des gerichtlichen Sachverständigen (im selbständigen Beweisverfahren) besonderer Rechtfertigung bedürfte, lässt sich danach nicht aufstellen. Bei der Beurteilung der Frage, ob aufgewendete Prozesskosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren, kommt es darauf an, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die die Kosten auslösende Maßnahme im Zeitpunkt ihrer Veranlassung als sachdienlich ansehen durfte. Dabei darf die Partei ihr berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen. Dass danach die Zuziehung des Anwalts zu einem Beweistermin in der Regel notwendig ist, da die Partei ein schützenswertes Interesse daran hat, dass der Anwalt ihres Vertrauens auch ihre Interessen bei der Beweiserhebung wahrnimmt, hat der BGH für den Fall eines Termins zur Zeugenvernehmung entschieden (BGH v. 16.12.2994 - I ZB 23/04, NJW-RR 2005, 725, 727). Für den hier vorliegenden Fall des Ortstermins eines gerichtlichen Sachverständigen gilt nichts anderes (für grundsätzliche gebührenrechtliche Notwendigkeit der Teilnahme auch Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 91 Rz. 67; Zöller/Herget, ZPO, 26. Aufl., § 91 Rz. 13 "Beweistermin"; a.A. allerdings Zöller/Herget, a.a.O. unter "Terminswahrnehmung"). Die Notwendigkeit der Teilnahme des Rechtsanwalts kann nicht auf die Frage reduziert werden, ob dieser in der Lage wäre, Nachfragen des Sachverständigen in tatsächlicher Hinsicht zu beantworten, oder gar, ob die Sachverhaltsfeststellung des Sachverständigen eine anwaltliche Rechtstätigkeit voraussetze. Vielmehr folgt die Notwendigkeit bereits aus den Gründen, die dem zentralen Recht der Parteien auf Teilnahme am Ortstermin des Sachverständigen (§ 357 Abs. 1 entsprechend; § 404a Abs. 4 ZPO; Grundsatz des rechtlichen Gehörs und fairen Verfahrens) zugrunde liegen. Diese hat das BVerwG in NJW 2006, 2058 überzeugend wie folgt umrissen:

Durch das Recht der Beteiligten, dem Sachverständigen Fragen zu stellen und Hinweise zu geben, können sie dazu beitragen, dass dem Gutachten eine zutreffende Tatsachenermittlung zugrunde liegt. Zugleich können sie sich selbst einen persönlichen Eindruck von der Örtlichkeit verschaffen, um so eine ausreichende Grundlage für ihren Sachvortrag und die rechtliche Bewertung zu erhalten. Schließlich ist die Anwesenheit aller Beteiligten geeignet, einseitige Beeinflussungen des Sachverständigen auszuschließen.

Die erstattungsrechtliche Notwendigkeit der Teilnahme des mit der Prozessführung betrauten Anwalts am Ortstermin kann danach nur unter ganz besonderen Umständen, die diese Zwecke der Teilnahme als nicht gegeben erscheinen lassen, verneint werden. Vorliegend sind solche nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO, die Wertfestsetzung auf § 3 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1712767

JurBüro 2007, 237

JurBüro 2007, 239

JurBüro 2007, 261

MDR 2007, 1044

AGS 2007, 648

RVGreport 2007, 234

GuG 2007, 254

NJOZ 2007, 4388

OLGR-Ost 2007, 469

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