Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständigkeitsbestimmungsbestimmungsverfahren: Negativer Kompetenzkonflikt zwischen zwei Zivilkammern desselben Landgerichts; gesetzliche Sonderzuständigkeit in Pressesachen; Bindungswirkung einer gerichtsinternen Abgabeentscheidung.
Leitsatz (amtlich)
1. In den Anwendungsbereich der gesetzlichen Sonderzuständigkeit nach § 72a S. 1 Nr. 5 GVG fallen nicht sämtliche Streitigkeiten mit einem Bezug auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, sondern nur solche, die sich als Folge einer Veröffentlichung in einem Massenmedium darstellen.
2. Auf eine nach § 72a GVG erfolgte Abgabe oder Verweisung eines Rechtsstreits von einer Kammer eines Landgerichts an eine andere ist § 281 ZPO weder unmittelbar noch analog anwendbar. Derartige Verweisungen entfalten daher auch keine Bindungswirkung nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO.
Normenkette
GVG § 72a S. Nr. 5; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 66 O 19/21) |
LG Berlin (Aktenzeichen 27 O 39/21) |
Tenor
Die allgemeinen Zivilkammern des Landgerichts Berlin werden als funktional zuständige Spruchkörper bestimmt.
Gründe
I. Die Antragstellerin verlangt von der Antragsgegnerin die Unterlassung einer Äußerung in einem Anwaltsschreiben. Die Antragstellerin plant die Produktion eines Kinofilms über die Lebensgeschichte der S. G. Sie wendet sich gegen ein Schreiben der Antragsgegnerin vom 16. Dezember 2020 an die F. GmbH (Anlage Ast12). Mit dem genannten Anwaltsschreiben bat die Antragsgegnerin die Adressatin um Mitteilung, ob diese an der Produktion mit Fördermitteln beteiligt sei. Ferner erklärte die Antragsgegnerin, sich vorzubehalten, jede Verwertung der Person I. G. alias S. G. in Kunst oder Wissenschaft auf etwaige Rechtsverletzungen überprüfen zu lassen und gegebenenfalls gegen solche vorzugehen. Die Antragstellerin sieht in diesem Schreiben einen Eingriff in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Sie ist der Auffassung, dass ihr deshalb ein Unterlassungsanspruch gegen die Antragsgegnerin zustehe.
Der am 18. Januar 2021 beim Landgericht Berlin eingegangene Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zunächst bei der dortigen Zivilkammer 66 anhängig geworden. Diese hat sich nach Zustellung des Antrags und Anhörung der Parteien mit einem Beschluss vom 19. Februar 2021 für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit wegen des Bestehens einer gesetzlichen Sonderzuständigkeit nach § 72a S. 1 Nr. 5 GVG in entsprechender Anwendung von § 281 ZPO an die Pressekammer des Landgerichts verwiesen. Zwar mache die Antragstellerin (noch) keine Ansprüche "aus Veröffentlichungen" in dem Sinne geltend, dass der geplante Film bereits veröffentlicht sei. Die Antragstellerin wolle aber vermutete bzw. befürchtete Störungen der geplanten Veröffentlichung bereits im Vorfeld abwehren.
Die nach dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Berlin mit der gesetzlichen Sonderzuständigkeit nach § 72a S. 1 Nr. 5 GVG betraute Zivilkammer 27 sieht sich durch diesen Beschluss in ihrer Zuständigkeit nicht gebunden, hat sich mit einem Beschluss vom 4. März 2021 ebenfalls für unzuständig erklärt und die Sache dem Kammergericht zur Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt.
II. 1. Das Kammergericht ist gemäß § 36 Abs. 1 ZPO als das im Rechtszug zunächst höhere Gericht zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen. Ferner liegen die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung auch der Sache nach vor. Zwar setzt § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nach seinem Wortlaut voraus, dass sich verschiedene Gerichte (und nicht einzelne Spruchkörper) rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. Allerdings ist die Vorschrift entsprechend anwendbar, wenn mehrere Spruchkörper des gleichen Gerichts um ihre Zuständigkeit streiten und die Entscheidung des Kompetenzkonflikts nicht von der Auslegung des Geschäftsverteilungsplans, sondern von einer gesetzlichen Zuständigkeitsregelung abhängt. Dies gilt nach allgemeiner Auffassung auch für die von dem Gesetzgeber neu geschaffenen §§ 72a, 119a GVG (Senat, Beschluss vom 22. März 2018 - 2 AR 11/18, NJW-RR 2018, 212; OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. April 2018 - 13 SV 6/18; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18. Juni 2018 - 1 AR 990/18, MDR 2018, 1015; Zöller/Lückemann, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 72a GVG Rn. 2; Klose MDR 2017, 793 [795]).
Schließlich liegen auch die weiteren Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung in entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vor, nachdem sich die an dem negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Spruchkörper jeweils "rechtskräftig" im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO für unzuständig erklärt haben. Hierfür genügt es, dass die betreffenden Entscheidungen den Parteien mitgeteilt wurden, so dass es sich nicht nur um gerichtsinterne Vorgänge, sondern um Entscheidungen mit Außenwirkung handelt (BGH, Beschluss vom 1. Juni 1988 - IVb ARZ 26/88, FamRZ 1988, 1256; Senat, Beschluss vom 22. März 2018 - 2 AR 11/18, NJW-RR 2018, 639; Zöller/Schultzky, a. a. O., § 36 Rn. 35 m. w. N.).
2. Als funktional zuständige Spruchkörper ...