Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 19.09.2017; Aktenzeichen 3 Ws (B) 329/17 - 122 Ss 177/17) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 19. September 2017 im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass das Fahrverbot entfällt.
Die Kosten des Rechtsmittels einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Landeskasse Berlin.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen §§ 37 Abs. 2 (genauer: Nr. 1 Satz 7), 49 (zu ergänzen: Abs. 3 Nr. 2) StVO nach § 24 StVG zu einer Geldbuße von 200,00 verurteilt, gemäß § 25 Abs. 1 StVG ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet und nach § 25 Abs. 2 a StVG eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt und mit dem, wie die Ausführungen ergeben, nur das verhängte Fahrverbot angegriffen wird, hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hielt der Betroffene mit seinem PKW Iveco gegen 12:42 an der Kreuzung xxx/xxx auf der mittleren Fahrspur, die mittels Pfeilen auf der Fahrbahn als Geradeausspur gekennzeichnet war, bei für diese Fahrtrichtung rotem Lichtsignal. Als für die rechts neben ihm befindliche Rechtsabbiegerspur grünes Lichtzeichen angezeigt wurde, überfuhr er die Haltelinie und bog rechts in die xxx ab.
Die Ansicht des Amtsgerichts, angesichts dieser Feststellungen seien Gründe für ein Absehen von dem in Nr. 132.3 BKat für Rotlichtverstöße bei schon länger als eine Sekunde andauernder Rotphase eines Wechsellichtzeichens ("qualifizierter Rotlichtverstoß") vorgesehenen Fahrverbot nicht ersichtlich, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Die Erfüllung des Tatbestandes von Nr. 132.3 BKat indiziert nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV in der Regel das Vorliegen einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers. Deswegen kommt die Anordnung eines Fahrverbots in derartigen Fällen in der Regel in Betracht. Das Vorliegen eines Regelbeispiels entbindet den Tatrichter jedoch nicht von der Pflicht, im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls zu prüfen, ob das Tatbild vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in objektiver oder subjektiver Hinsicht so erheblich abweicht, dass ein "atypischer" Rotlichtverstoß vorliegt, der die Regelsanktion als unangemessen erscheinen lässt (ständige Rechtsprechung des Senat, u. a. Beschlüsse vom 31. Oktober 2008 - 3 Ws (B) 286/08 und 30. Oktober 2013 - 3 Ws (B) 492/13). Die Verhängung eines Fahrverbots im Falle des Vorliegens eines qualifizierten Rotlichtverstoßes hat ihre Ursache darin, dass sich bei länger als einer Sekunde andauernder Rotlichtphase bereits Querverkehr in dem durch das Rotlicht gesperrten Bereich befinden kann (vgl. Senat, Beschlüsse vom 7. Oktober 2002 - 3 Ws (B) 364/02 - und 13. Januar 2010 - 3 Ws (B) 714/09 - m. w. N.) und die Einfahrt in den durch das rote Wechsellichtzeichen geschützten Bereich regelmäßig mit nicht unerheblicher Geschwindigkeit erfolgt. Für diesen Fall sieht Nr. 132.3 BKat daher ein Regelfahrverbot vor.
Sind jedoch Umstände ersichtlich, die einer abstrakten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer entgegenstehen, bedarf es regelmäßig näherer Prüfung, ob das Regelfahrverbot gleichwohl schuldangemessen ist (vgl. Senat VRS 113, 300 ff. m. w. N.). Eine nähere Erörterung drängt sich schon dann auf, auf, wenn ein Betroffener vor der Haltelinie anhält und dann trotz andauerndem Rotlicht seine Fahrt fortsetzt. Denn in einem derartigen Fall liegt es nahe, dass der Fahrzeugführer mit geringer, ein sofortiges Reagieren ermöglichender (Anfahr-)Geschwindigkeit in den geschützten Bereich einfährt. Jedenfalls dann, wenn eine andere als die von dem Betroffenen benutzte Fahrspur für die von dem Betroffenen eingeschlagene Fahrtrichtung grünes Signallicht hat, ist eine auch nur abstrakte Gefahr für kreuzende Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen.
Ein derartiger Fall ist ausweislich der vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen gegeben. Der Tatrichter hat jedoch die sich aus den Feststellungen ergebenden Milderungsgründe gegenüber dem Regelfall bei Festsetzung des Rechtsfolgenaus-spruchs nicht in dem gebotenen Maße berücksichtigt. Dies erfordert hier jedoch keine Zurückverweisung der Sache. Da nicht zu erwarten ist, dass eine erneute Hauptverhandlung weitere für den Rechtsfolgenausspruch bedeutsame Feststellungen erbringen wird, macht der Senat von der ihm durch § 79 Abs. 6 OWiG eingeräumten Befugnis Gebrauch und hebt den Ausspruch über das Fahrverbot auf, weil die Voraussetzungen für dessen Verhängung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV nicht vorliegen. Nach den getroffenen Feststellungen hat der Betroffene die Tat nicht unter grober Verletzung seine Pflichten als Kraftfahrer begangen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 4 StPO. ...