Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorgerichtliche Anwaltskosten in Verkehrsunfallsachen

 

Leitsatz (amtlich)

Auch in Verkehrsunfallsachen stellen vorgerichtliche Anwaltskosten nach dem Streitwert, der sodann Gegenstand des Prozesses ist, regelmäßig eine Nebenforderung i.S.v. § 4 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO dar und sind bei der Streitwertermittlung daher nicht zu berücksichtigen.

Die davon abweichende Ansicht, dass in "zivilen Verkehrsunfallsachen" die Kosten grundsätzlich hinzuzurechnen seien, da eine Nebenforderung i.S.v. § 4 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO nur gegeben sei, wenn der Kostenerstattungsanspruch als Folge eines Verzugs geltend gemacht werde - woran es in Verkehrsunfallsachen regelmäßig fehle, da der Anspruch dort einen "Folgeschaden der Sachbeschädigung" betreffe - ist nicht ernsthaft vertretbar; eine darauf beruhende Verweisung an das vermeintlich sachlich zuständige LG ist objektiv willkürlich und nicht bindend.

 

Normenkette

ZPO § 4 Abs. 1 Hs. 2

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Mitte

 

Tenor

Das AG Mitte wird als das sachlich zuständige Gericht bestimmt.

 

Gründe

I. Der Kläger macht mit seiner bei dem AG Mitte eingereichten Klage Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall i.H.v. 4.631,96 EUR (Wiederbeschaffungsaufwand, Gutachterkosten und Unfallkostenpauschale) geltend.

Ferner begehrt der Kläger Ersatz vorgerichtlicher anwaltlicher Kosten i.H.v. 570,69 EUR (1,3-fache Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 RVG-VV nach einem Wert von 5.163,96 EUR, zzgl. Auslagenpauschale von 20 EUR, MWSt. und 24 EUR Akteneinsichtsgebühren). Der Kläger hat diese Forderung als "Verzugsfolgeschaden ... gemäß § 286 BGB" bezeichnet.

Auf Hinweis des AG, dass die vorgerichtlichen Anwaltskosten in Verkehrsunfallsachen regelmäßig dem Streitwert hinzuzurechnen seien, da sie nicht als Verzugsschaden, sondern als Folgeschaden der Sachbeschädigung geltend gemacht würden und daher nicht anders zu behandeln seien als Sachverständigenkosten oder die - schädigungsbedingte Aufwendungen abgeltende - Kostenpauschale, und dass wegen eines Streitwerts von 5.202,65 EUR daher die sachliche Zuständigkeit des LG gegeben sei, hat der Kläger am 20.11.2007 Verweisung an das LG beantragt. Die Beklagte zu 1 hat sich dem unter dem 23.11.2007 angeschlossen.

Das AG hat sich mit Beschluss vom 7.12.2007 für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das LG Berlin verwiesen. Mit Beschluss vom 7.1.2008 hat das LG, das die Verweisung als willkürlich ansieht, den Streitwert auf 4.631,96 EUR festgesetzt und die Sache an das AG zurückverwiesen.

Nach Rückgabe der Akte vom AG an das LG hat dieses die Sache dem KG zur Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt.

II. Das Verfahren zur Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist eröffnet, da sich sowohl das AG Mitte als auch das LG Berlin rechtskräftig i.S.d. Bestimmung (vgl. dazu BGHZ 102, 338 = NJW 1988, 1794 f.) für unzuständig erklärt haben.

Das AG Mitte ist sachlich zuständig, da der Wert des Streitgegenstands 5.000 EUR nicht übersteigt (§ 23 Nr. 1 GVG i.V.m. §§ 2, 4 Abs. 1 HS. 2 ZPO) und die Verweisung an das LG wegen objektiver Willkür nicht nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO bindend ist.

Eine Verweisung ist willkürlich und damit nicht bindend, wenn sie nicht bloß unrichtig ist, sondern sich bei der Auslegung und Anwendung einer Zuständigkeitsnorm so weit von dem sie beherrschenden Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. BVerfGE 29, 45, 49), bzw. wenn dem Beschluss jede rechtliche Grundlage fehlt, da er bei verständiger Würdigung der maßgebelichen Rechtsprinzipien nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (s. BGH NJW 2003, 3201 f.; NJW 2002, 3634 f.; BGHReport 2003, 42, 43; s. a. OLG Stuttgart OLGReport Stuttgart 2007, 955 f. für Willkür bei Anwendung des § 4 Abs. 1 HS. 2 ZPO). Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt.

Nach § 4 Abs. 1 HS. 2 ZPO bleiben Kosten bei der Wertfestsetzung unberücksichtigt, wenn sie als Nebenforderung geltend gemacht werden. Das Wesen einer Nebenforderung besteht darin, dass sie vom Bestehen einer Hauptforderung abhängig ist. Wird der materiell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch neben der Hauptforderung, aus der er sich herleitet, geltend gemacht, ist er von dem Bestehen der Hauptforderung abhängig, so dass es sich bei den zur Durchsetzung eines Anspruchs vorprozessual aufgewendeten und unter dem Gesichtspunkt des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs geltend gemachten Geschäftsgebühren um Nebenforderungen i.S.v. § 4 ZPO handelt, solange die Hauptsache Gegenstand des Rechtsstreits ist (s. BGH NJW 2007, 3289).

Die Ansicht des AG, bei "zivilen Verkehrsunfallsachen" gelte etwas anderes, da dort die Anwaltskosten nicht als Folge des Verzugs des Schädigers geltend gemacht würden, sondern als Folgeschaden der Sachbeschädigung, findet in der die Zuständigkeit (mit) regelnden Vorschrift des § 4 ZPO keine Stütze und ist als nicht mehr nachvollziehbar anzusehen. § 4 ZPO bringt den allgemeinen Grundsatz zum Ausdruck, dass die Kosten des laufenden...

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