Leitsatz (amtlich)

Ein auf die Vergesellschaftung großer privater Immobilienvermögen gerichtetes Volksbegehren begründet kein berechtigtes Interesse eines einzelnen Abgeordneten eines Landesparlaments an der Einsicht in das Grundbuch, um den Immobilienbestand und -wert eines möglicherweise von dem Volksbegehren betroffenen privaten Unternehmens zu ermitteln.

 

Normenkette

AbstG Berlin §§ 2, 9, 15; GBO §§ 12c, 12, 71; GG Art. 19; VvB Art. 45, 61-63

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Aktenzeichen 44 AR/19)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 09.01.2020; Aktenzeichen V ZB 98/19)

 

Tenor

Die Beschwerde wird bei einem Wert in Höhe von 5.000,00 EUR zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Beteiligte ist Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin. Mit Schreiben vom 24. Januar 2019 beantragte sie bei dem Präsidenten des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg unter Berufung auf Art. 45 Abs. 2 S. 1 der Verfassung von Berlin (VvB) "Akteneinsicht in alle Grundbuchseiten des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg, aus denen die Eigentümerschaft der D... W... S... oder ihrer Tochterunternehmen (Liste im Anhang) für entsprechende Liegenschaften hervorgeht." Bei der in Bezug genommenen Liste handelt es sich um die ungeordnete und unübersichtliche Aufstellung einer Vielzahl von privaten Unternehmen.

Mit Beschluss vom 5. März 2019 hat das Grundbuchamt den ihm von der Justizverwaltung weitergeleiteten Antrag zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich der als "Widerspruch" bezeichnete Rechtsbehelf der Beteiligten vom 2. April 2019. Sie trägt vor, die Bestände der D... W... S... einschließlich ihrer Tochtergesellschaften seien Gegenstand der Volksinitiative "D... enteignen". Eine substantiierte Teilnahme an der damit verbundenen Debatte und eine effektive parlamentarische Kontrolle der Exekutive sei nur möglich, wenn und soweit Klarheit über den Debattengegenstand herrsche. Nur die genaue Kenntnis über die Anzahl und Lage der betroffenen Immobilien ermögliche dem Parlament eine eigenständige und von den Informationen der Exekutive unabhängige Meinungsbildung. Das Grundbuchamt hat den Rechtsbehelf als Beschwerde gewertet und ihr mit Beschluss vom 9. April 2019 nicht abgeholfen.

II. 1. Das Grundbuchamt hat den Rechtsbehelf der Beteiligten zutreffend als Beschwerde gem. § 71 Abs. 1 GBO ausgelegt. Sie wendet sich gegen die Entscheidung des Grundbuchamts, ihr keine Einsicht in eine - möglicherweise (der Senat hat nicht nachgeprüft, ob die D... W... S... oder die in der von der Beteiligten beigefügten Liste aufgeführten Unternehmen als Eigentümer von Immobilien im Grundbuch des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg eingetragen sind) - Vielzahl von Grundbüchern zu gewähren. Gegen diese von der Grundbuchrechtspflegerin ergangene Entscheidung ist die Beschwerde statthaft, §§ 12c Abs. 4 S. 1, 71 Abs. 1 GBO, und es ist anzunehmen, dass die Beteiligte das zutreffende Rechtsmittel einlegen wollte.

2. Die auch ansonsten zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Grundbuchamt hat den Antrag der Beteiligten vom 24. Januar 2019 im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.

a) Die Einsicht des Grundbuchs ist jedem gestattet, der ein berechtigtes Interesse darlegt, § 12 Absatz 1 S. 1 GBO. Soweit die Einsicht des Grundbuchs gestattet ist, kann eine Abschrift gefordert werden, § 12 Abs. 2 GBO.

aa) Die Beschwerde scheitert nicht deswegen, weil die Beteiligte kein konkretes Grundstück bezeichnet hätte, in dessen Grundbuch sie Einsicht zu nehmen wünscht.

Allerdings muss für die beabsichtigte Einsicht in das Grundbuch das Grundstück bezeichnet werden, auf das sich das Einsichtsverlangen bezieht (Senat, Beschluss vom 28. Januar 1997 - 1 W 6919/96 - DNotZ 1997, 734, 736; Böhringer, Rpfleger 1987, 181, 185). Bezieht sich aber das von dem Antragsteller in Anspruch genommene Interesse wie hier auf Einsicht in sämtliche einer bestimmten Person als Eigentümerin zugeordneten Grundstücke im Bezirk des angegangenen Grundbuchamts, kann die erforderliche Bezeichnung der Grundstücke auch durch Bezeichnung dieser Person genügen (Senat Beschluss vom 17. April 1913 - 1 X 107/13 - KGJ 45, 198, 199; Maaß, in: Bauer/Schaub, GBO, 4. Aufl., § 12, Rdn. 76; Wilsch, in: Hügel, GBO, 3. Aufl., § 12, Rdn. 16).

bb) Die Beteiligte hat ein berechtigtes Interesse an der Grundbucheinsicht nicht dargelegt.

(1) Ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 12 Abs. 1 S. 1 GBO ist gegeben, wenn zur Überzeugung des Grundbuchamts ein verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse des Antragstellers dargelegt wird, wobei auch ein bloß tatsächliches, insbesondere wirtschaftliches Interesse das Recht auf Grundbucheinsicht begründen kann. § 12 Abs. 1 GBO bezweckt nicht in erster Linie einen Geheimnisschutz, sondern zielt auf eine Publizität, die über die rein rechtliche Anknüpfung an die Vermutungs- und Gutglaubensvorschriften der §§ 891ff. BGB hinausgeht (Senat, Beschluss vom 20. Januar 2004 - 1 W 294/03, NJW-RR 2004, 1316, 1317). Grundsätzlich anerkannt ist die Grundbucheinsicht au...

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