Leitsatz (amtlich)
1. Grundsätzlich muss eine Abmahnfrist so bemessen sein, dass dem Abgemahnten eine angemessene Überlegungszeit bleibt, um zumutbarer Weise Rechtsrat einzuholen und sich über die geeignete Reaktion auf die Abmahnung klar zu werden.
2. Es gibt keinen Grundsatz, dass bei Veröffentlichungen, die im Internet verbreitet werden, grundsätzlich Fristen gelten müssen, die sich nur auf wenige Stunden belaufen.
Normenkette
ZPO § 93
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 27 O 322/22) |
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde der Verfügungsbeklagten wird die Kostenentscheidung des am 16. Februar 2023 verkündeten Urteils des LG Berlin, 27 O 322/22, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Verfügungskläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
II. Die Verfügungskläger haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Gebührenstreitwert wird auf bis zu 10.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Die Verfügungsbeklagte veröffentlichte ... zwei Lichtbilder, die gegen den Willen und ohne Kenntnis der Verfügungskläger gefertigt wurden. Die Verfügungskläger sollen auf den Lichtbildern aus großer Entfernung ... zu sehen sein. Zugleich erläuterte die Verfügungsbeklagte die Lichtbilder.
Die Prozessbevollmächtigte der Verfügungskläger nahmen diese Veröffentlichungen zum Anlass, die Verfügungsbeklagte (Rechtsabteilung) mit Fax vom 8. August 2022 (Montag), 12:53 Uhr, aufzufordern, bis um 18:00 Uhr desselben Tages eine Unterlassungsverpflichtungserklärung abzugeben (Anlage ASt 3). Eine Fristverlängerung bis zum nächsten Tag, 18:00 Uhr, stellte sie für den Fall in Aussicht, dass die beanstandeten Bilder und Texte noch am 8. August 2022 "offline" gestellt werden würden. Die Verfügungsbeklagte teilte mit Fax vom 8. August 2022, 17:55 Uhr mit, "aufgrund ferienbedingter Abwesenheiten sowohl in der Redaktion als auch in der Rechtsabteilung" sei eine Aufklärung innerhalb der gesetzten Frist nicht möglich. Sie werde sich aber bis zum 9. August 2022 unaufgefordert melden. Am 9. August 2022 um 18:00 Uhr gab die Verfügungsbeklagte gegenüber der Verfügungsklägerin zu 1) die verlangte Unterlassungsverpflichtungserklärung ab (Anlage AG 2). Eine Unterlassungsverpflichtungserklärung gegenüber dem Verfügungskläger zu 2) lehnte sie mit der Begründung ab, mit der Erklärung gegenüber der Verfügungsklägerin sei auch die Wiederholungsgefahr für den Verfügungskläger entfallen. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig.
Noch am 8. August 2022 hatte die Verfügungsklägerin um 18:36:51 Uhr per beA in Bezug auf die Lichtbilder und die ergänzende Wortberichterstattung den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung beim Landgericht Berlin gestellt. Diesem Antrag gab das Landgericht Berlin, ohne die Antragsgegnerin weiter zu beteiligen, weil die Abmahnung mit der Antragsschrift deckungsgleich sei, mit Beschluss vom 10. August 2022 (Mittwoch) statt und verurteilte die Verfügungsbeklagte, die Kosten des Verfahrens zu tragen (die Verfügungskläger hatten dem Gericht nicht mitgeteilt, dass bereits eine von ihnen als ausreichend angesehene Unterlassungsverpflichtungserklärung vorliegt). Am 19. August 2022 haben die Verfügungskläger die Unterlassungserklärung angenommen (Anlage AG 1) und danach die einstweilige Verfügung formal zustellen lassen.
Gegen diese Entscheidung hat die Verfügungsbeklagte mit Schriftsatz vom 16. November 2022 einen Kostenwiderspruch erhoben (im Folgenden: Kostenwiderspruch). Mit ihren Erklärungen vom 9. August 2022 sei jeweils der Verfügungsanspruch vor Erlass der Entscheidung entfallen. Jedenfalls hätten die Verfügungskläger die Kosten aber entsprechend § 93 ZPO zu tragen. Sie habe nämlich keine Veranlassung zur "Initiierung" des Verfügungsverfahrens gegeben, sondern innerhalb einer angemessenen Frist eine unterstellte Wiederholungsgefahr durch Abgabe ihrer Unterlassungsverpflichtungserklärung beseitigt. Für die Einzelheiten wird auf den Kostenwiderspruch Bezug genommen.
Das Landgericht Berlin hat den Kostenwiderspruch durch Urteil zurückgewiesen und die einstweilige Verfügung im Kostenpunkt bestätigt. Die Voraussetzungen des § 93 ZPO lägen nicht vor. Denn die Verfügungsbeklagte habe die Unterlassungsverpflichtungserklärung nicht innerhalb einer angemessenen Frist abgegeben. Dabei könne dahinstehen, ob die der Verfügungsbeklagten gesetzte Frist von nur 5 Stunden zu kurz gewesen sei. Die Verfügungskläger hätten sich jedenfalls nicht auf eine Fristverlängerung "um 24 Stunden" einlassen müssen und wären berechtigt gewesen, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nach Ablauf der ursprünglichen Frist zu stellen. Da bei einer Online-Veröffentlichung von Lichtbildern gerade die ersten 24 Stunden maßgeblich seien und bereits am Folgetag die Berichterstattung in den Hintergrund rücke und von neuen Geschehnissen überlagert werde, sei die von der Verfügungsbeklagten erbetene Fristverlängerung zu lang gewesen. Hinzu komme, dass es sich um heimlich hergestellte Lichtbilder handele, die die Verfügungskläger in einer privaten S...