Entscheidungsstichwort (Thema)

Entscheidung über Vorabhaftantrag der Ausländerbehörde ohne Anhörung des Ausländers

 

Normenkette

AufenthG § 62 Abs. 2 S. 2; FEVG §§ 5-6, 11

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Beschluss vom 02.06.2008; Aktenzeichen 84 T 322/06 B)

AG Berlin-Schöneberg (Beschluss vom 20.07.2006; Aktenzeichen 70 XIV 1226/06 B)

 

Tenor

Der Beschluss des LG Berlin vom 2.6.2008 wird teilweise abgeändert:

Der Beschluss des AG Schöneberg vom 20.7.2006 - 70 XIV 1226/06 B - war rechtswidrig.

Die darüber hinausgehende sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht durch den Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen eingelegt worden, §§ 106 Abs. 2 S. 1 AufenthG, 7 Abs. 1 und 2, 3 S. 2 FEVG, 29 Abs. 1, 2 und 4, 22 Abs. 1 FGG.

Das Rechtsschutzbedürfnis der Betroffenen an den begehrten Feststellungen ist durch ihre Entlassung aus dem Polizeigewahrsam nicht entfallen (BVerfG NJW 2002, 2456; Beschl. v. 10.12.2007 - 2 BvR 1033/06, bei Melchior, Internetkommentar zur Abschiebungshaft; VerfGH Berlin, Beschl. v. 7.12.2004 - 55/04 und 55A/04, JURIS, Rz. 17; KG, Beschl. v. 22.1.2008 - 1 W 371/07, InfAuslR 2008, 169).

II. Die sofortige weitere Beschwerde ist auch begründet, soweit die Betroffenen beantragt haben, die Rechtswidrigkeit des Beschlusses des AG vom 20.7.2006 festzustellen.

Das AG hat die Anordnung der Freiheitsentziehung vom 20.7.2006 auf § 11 FEVG gestützt. Ist Antrag auf Freiheitsentziehung gestellt, so kann das Gericht einem Betroffenen nach dieser Vorschrift einstweilen die Freiheit für die Dauer von höchstens sechs Wochen entziehen, sofern dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Voraussetzungen für die Unterbringung vorliegen, und über die endgültige Unterbringung nicht rechtzeitig entschieden werden kann, § 11 Abs. 1 FEVG. Dabei hat das Gericht die Person, der die Freiheit entzogen werden soll, mündlich anzuhören, §§ 11 Abs. 2 S. 1, 5 Abs. 1 S. 1 FEVG. Die Anhörung kann bei Gefahr im Verzug unterbleiben; sie muss dann jedoch unverzüglich nachgeholt werden, § 11 Abs. 2 S. 2 FEVG.

Der Beschluss vom 20.7.2006 erging ohne mündliche Anhörung der Betroffenen. Das AG ist insoweit von Gefahr im Verzug ausgegangen, hat zur Begründung hierzu aber keine Ausführungen gemacht, was gem. § 6 Abs. 1 FEVG jedoch erforderlich gewesen wäre. Das LG hat die vorläufige Freiheitsentziehung aus materiell-rechtlichen Gründen für rechtmäßig gehalten. Die Verfahrensrügen der Betroffenen hat das LG nur im Hinblick auf die unterlassene Beiziehung der Ausländerakten behandelt. Soweit die Betroffenen auch ihre unterlassene Anhörung beanstandet haben, enthält der Beschluss des LG keine Ausführungen.

Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung, auf die das Gericht der weiteren Beschwerde beschränkt ist, §§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO, nicht stand. Es ist nicht erkennbar, aus welchen Gründen die Tatsacheninstanzen vorliegend eine Gefahr im Verzug für gegeben erachtet haben, die das AG hätte berechtigen können, vor Erlass seiner Entscheidung von der persönlichen Anhörung der Betroffenen abzusehen. Auch aus den Akten ergibt sich hierfür nichts. Vielmehr sieht das Gesetz regelmäßig die Ladung eines Betroffenen, dem die Freiheit entzogen werden soll, zur persönlichen Anhörung vor. Erst wenn er einer solchen Ladung nicht folgt, kann seine Vorführung angeordnet werden, § 5 Abs. 1 S. 2 FEVG. Deshalb kann Gefahr im Verzug auch nicht allein damit begründet werden, dem Betroffenen werde durch die Ladung der Haftantrag der Ausländerbehörde bekannt, so dass die Möglichkeit bestehe, er werde sich seiner Verhaftung entziehen; vielmehr bedarf es für eine solche Annahme konkreter Anhaltspunkte (KG, Beschl. v. 23.4.2008 - 1 W 48/08, OLGReport 2008, 624). Solche waren hier nicht gegeben. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall.

Zunächst ist die - auf den unklaren Angaben der Ausländerbehörde beruhende - Feststellung des LG unzutreffend, die Betroffene zu 1 habe letztmalig am 6.4.2006 bei der Ausländerbehörde vorgesprochen. Tatsächlich ist sie nochmals am 18.4.2006 bei der Ausländerbehörde erschienen, um Rechtsmittel gegen den die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis versagenden Bescheid der Ausländerbehörde vom 6.4.2006 einzulegen. Nach dem Aktenvermerk Blatt 56 der Ausländerakte ist die Betroffene zu 1 an das VG verwiesen worden, wo das Verfahren dann durch ihre Verfahrensbevollmächtigten weiter betrieben worden ist. Dass die Betroffene zu 1 in der Folgezeit bei der Ausländerbehörde persönlich vorzusprechen, insbesondere vorgegebene Termine wahrzunehmen hatte, ist nicht ersichtlich zumal sie über ihre Verfahrensbevollmächtigten im ständigen Kontakt mit der Ausländerbehörde stand.

Darüber hinaus waren die Betroffenen unter ihrer Meldeanschrift in Berlin wohnhaft. Der Ausländerbehörde war auch die Anschrift der Verlobten der Betroffenen zu 1 bekannt. Dem AG wäre also eine Vorladung, vgl. § 5 Abs. 1 S. 2 FEVG, möglich gewesen, ggf. hätte die Ladung über die Verfahren...

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