Leitsatz (amtlich)
Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe kann gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 BtMG nur zurückgestellt werden, wenn feststeht, dass der Täter die der Freiheitsstrafe zugrunde liegende Tat aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat. Das setzt einen unmittelbaren Kausalzusammenhang voraus, der nicht immer schon dann gegeben ist, wenn zur Tatzeit eine Rauschgiftabhängigkeit bestanden hat und in ihr - unabhängig vom konkreten Einzelfall - allgemein eine Erklärung für das begangene Delikt gefunden werden kann. Kausalität besteht vielmehr nur bei Taten, die der Beschaffung von Drogen zur Befriedigung der Sucht dienen sollen oder die der Täter ohne die Betäubungsmittelabhängigkeit nicht begangen hätte. Die Drogensucht muss die Bedingung und nicht nur Begleiterscheinung der Straftat gewesen sein.
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 21.12.2006; Aktenzeichen 256 Ds 646/05) |
Tenor
1.
Der Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vom 4. Oktober 2007 wird verworfen.
2.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3.
Der Geschäftswert wird auf 3.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe
1.
Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Antragsteller am 21. Dezember 2006 - 256 Ds 646/05 - wegen Beleidigung und Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Dem Urteil lag zugrunde, dass der Antragsteller, der seinerzeit im Krankenhaus des Maßregelvollzuges in Berlin untergebracht war, am 24. April 2005 zunächst die Dienstausübung des Pflegepersonals gestört und sodann einen Pfleger als "Fotze, Drecksau und Arschloch" bezeichnet hatte. Als er daraufhin in einen abgesonderten Raum verbracht werden sollte, setzte er sich mit Gewalt zur Wehr und verletzte dabei einen weiteren Pfleger durch Bisse, wobei er unter anderem ein Stück der Ohrmuschel des Geschädigten derart abbiss, dass es nur noch an einem Hautfetzen hing und in einer 11/2-stündigen Operation wieder angenäht werden musste. In der Nacht vor dieser Tat hatte der Antragsteller Kokain konsumiert.
Die Strafvollstreckung hat der Antragsteller am 21. Dezember 2006 angetreten. Zwei Drittel der Strafe werden am 20. April 2008 verbüßt sein. Das Strafende ist auf den 20. Dezember 2008 notiert. Im Anschluss ist die Vollstreckung einer Restgesamtfreiheitsstrafe von 2 Tagen (von ursprünglich vier Monaten) aus dem Urteil vom 17. Juli 2003 sowie eine Restfreiheitsstrafe von 441 Tagen (von ursprünglich vier Jahren) aus dem Urteil vom 1. April 2004 vorgesehen.
Den Antrag des Verurteilten, die Strafvollstreckung in der vorliegenden Sache gemäß § 35 BtMG zurückzustellen, hat die Staatsanwaltschaft abgelehnt. Seine Beschwerde hat die Generalstaatsanwaltschaft mit Bescheid vom 4. Oktober 2007 zurückgewiesen. Der dagegen gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung bleibt ohne Erfolg.
2.
§ 35 BtmG räumt der Vollstreckungsbehörde für die Entscheidung über die Zurückstellung der Strafvollstreckung, sofern die übrigen Voraussetzungen vorliegen, ein Ermessen ein, das nach § 28 Abs. 3 EGGVG lediglich dahin überprüfbar ist, ob die Vollstreckungsbehörde bei ihrer Entscheidung von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, den richtigen Begriff des Versagungsgrunds zugrunde gelegt und die Grenzen des ihr zustehenden Ermessens eingehalten hat (ständige Rechtsprechung des Kammergerichts, vgl. Beschluss vom 12. August 2005 - 4 VAs 60/05 m.w.N.). Dies ist vorliegend der Fall.
Zu Recht geht die Generalstaatsanwaltschaft davon aus, dass die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 BtMG nicht vorliegen. Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe kann gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 BtMG nur zurückgestellt werden, wenn feststeht, dass der Täter die der Freiheitsstrafe zugrunde liegende Tat aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat. Das setzt einen unmittelbaren Kausalzusammenhang voraus. Ein solcher ist nicht immer schon dann gegeben, wenn zur Tatzeit eine Rauschgiftabhängigkeit bestanden hat und in ihr - unabhängig vom konkreten Einzelfall - allgemein eine Erklärung für das begangene Delikt gefunden werden kann. Kausalität besteht vielmehr nur bei Taten, die der Beschaffung von Drogen zur Befriedigung der Sucht dienen sollen oder die der Täter ohne die Betäubungsmittelabhängigkeit nicht begangen hätte. Die bloße, wenn auch mit gewichtigen Anhaltspunkten begründete Vermutung, dass die Tat ihre Ursache in der Sucht hatte, reicht für eine Zurückstellung der Strafvollstreckung nicht aus. Die Drogensucht muss die Bedingung und nicht nur Begleiterscheinung der Straftat gewesen sein (vgl. KG, Beschluss vom 31. August 2007 - 1 VAs 44/07 - m.w.N.).
Weder den Feststellungen des verfahrensgegenständlichen Urteils noch sonstigen Tatsachen ist zu entnehmen, dass ein derartiger Ursachenzusammenhang zwischen der Betäubungsmittelabhängigkeit des Antragstellers und den abgeurteilten Straftaten besteht. Die Generalstaatsanwaltschaft weist zu Recht darauf hi...