Leitsatz (amtlich)
Bei einer im Westjordanland unter Beteiligung eines Scharia-Gerichts erfolgten Scheidung der Ehe eines dort wohnhaften Palästinensers und einer ebenfalls dort wohnhaften Palästinenserin handelt es sich um eine sogenannte Heimatstaatenentscheidung. Stellt sich bei der Beurkundung eines Personenstandsfalles die Vorfrage, ob eine solche Scheidung im Inland anzuerkennen ist, kann die Beurkundung nicht abgelehnt werden, weil kein Verfahren auf Anerkennung der Scheidung durch die Justizverwaltungsbehörde erfolgt ist. Über die Anerkennung hat der Standesbeamte selbst zu entscheiden.
Normenkette
EGBGB Art. 5; FamFG § 107; PStG §§ 49, 51; StlÜbk Art. 1, 12
Verfahrensgang
AG Berlin-Schöneberg (Aktenzeichen 71e III 18/21) |
Tenor
Die Beschwerde wird auf Kosten der Beteiligten zu 3 bei einem Wert von 5.000,00 EUR zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Die Beteiligte zu 2 wurde am 20. August 1991 in T. geboren. Sie schloss am 6. Juli 2015 mit A. M. M. M. aus A. die Ehe. T. und A. sind Städte im Westjordanland. Die Ehe wurde am 14. September 2015 geschieden. Hierüber stellte das Scharia-Gericht von T. am 3. Januar 2016 eine Urkunde aus, die im Original vorliegt und wegen deren Einzelheiten auf Bl. 80 bis 85 d. A. verwiesen wird.
Der Beteiligte zu 1 ist aufgrund seiner Einbürgerung vom 27. August 2001 deutscher Staatsangehöriger. Er schloss am 10. Juli 2016 mit der Beteiligten zu 2 die Ehe, worüber das Scharia Gericht in T. die Urkunde Nr. 0 ... ausstellte, die ebenfalls im Original vorliegt und wegen deren Einzelheiten auf Bl. 86 bis 89 d. A. verwiesen wird. Eine - etwas anders lautende, jedenfalls aber verständlichere Übersetzung dieser Urkunde befindet sich in der von dem Senat beigezogenen, die Beteiligte zu 2 betreffende Akte des Landesamts für Einwanderung, dort Bl. 88 bis 90. Die Beteiligte zu 2 reiste am 23. September 2017 aufgrund eines ihr zum Zwecke der Familienzusammenführung erteilten Visums in die Bundesrepublik Deutschland ein und lebt seither bei dem Beteiligten zu 1.
Am 11. Dezember 2020 gebar die Beteiligte zu 2 in Berlin einen Sohn, den Beteiligten zu 4. Das Standesamt lehnte in der Folgezeit eine Beurkundung der Geburt mit dem Beteiligten zu 1 als Vater ab. Erst müsse die Scheidung der Ehe der Beteiligten zu 2 im Verfahren nach § 107 FamFG anerkannt worden sein.
Die Beteiligten zu 1, 2 und 4 haben unter dem 16. März 2021 beantragt, das Standesamt anzuweisen, die Geburt des Beteiligten zu 4 mit den Beteiligten zu 1 und 2 als seinen Eltern zu beurkunden. Das Amtsgericht hat das Standesamt mit Beschluss vom 15. Juni 2021 angewiesen, die Geburt des Beteiligten zu 4 "nicht aus dem Grund abzulehnen, dass die Kindesmutter keine Anerkennungsentscheidung betreffend die Scheidung der 1. Ehe der Kindesmutter nach § 107 FamFG vorgelegt hat". Hiergegen wendet sich die Beteiligte zu 3 mit ihrer am 19. Juli 2021 bei dem Amtsgericht eingegangenen Beschwerde, der mit Beschluss vom 9. September 2021 nicht abgeholfen worden ist.
II. 1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses am 21. Juni 2021 bei dem Amtsgericht erhoben worden, §§ 58 Abs. 1, 63 Abs. 1, 64, 65 FamFG, 51 Abs. 1 PStG. Die Beteiligte zu 3 ist auch zur Einlegung des Rechtsmittels befugt, § 53 Abs. 2 PStG.
Gegenstand der Beschwerde ist allein die Frage, ob die Beurkundung der Geburt des Beteiligten zu 4 mit dem Beteiligten zu 1 als Vater die vorherige Anerkennung der Scheidung der ersten Ehe der Beteiligten zu 2 durch die Landesjustizverwaltung voraussetzt. Nur hierüber hat das Amtsgericht ausweislich des Tenors des angefochtenen Beschlusses entschieden.
2. Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
a) Der Einwand der Beteiligten zu 3, die angefochtene Entscheidung entspreche nicht dem gestellten Antrag, ist unzutreffend.
Allerdings bedarf die Anweisung des Standesamts eines darauf gerichteten Antrags, § 49 Abs. 1 PStG, der die mögliche Sachentscheidung des Gerichts ausschließlich bestimmt (Sternal, in: Keidel, FamFG, 20. Aufl., § 23, Rdn. 17). Vermag sich das Gericht auch nach Durchführung erforderlicher Ermittlungen, § 26 FamFG, vom Vorliegen der Voraussetzungen für die beantragte Anweisung nicht zu überzeugen, ist der Antrag zurückzuweisen (Gaaz/Bornhofen, PStG, 5. Aufl., § 49, Rdn. 10).
Dies hindert das Gericht aber nicht daran, auf eine aus seiner Sicht vollzugsfähige Antragstellung hinzuwirken. So ist es hier. Das Amtsgericht hat den Beteiligten mit Verfügung vom 10. Mai 2021, Bl. 29 d.A., seine vorläufige Auffassung zur Rechtslage und die daraus folgende Entscheidung mitgeteilt und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Beteiligten haben sich in der Folgezeit hierzu geäußert. Insbesondere die Beteiligten zu 1, 2 und 4 haben dabei keine Einwände gegen die angekündigte Entscheidungsformel erhoben. Durch ihren Antrag im Beschwerdeverfahren, die Beschwerde zurückzuweisen, haben sie zudem deutlich gemacht, mit der Entscheidung einverstand...