Leitsatz (amtlich)

Zur Ursächlichkeit und zum Verschuldensmaßstab im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG. Eine Wiedereinreise des früheren Angeschuldigten stellt die Ursächlichkeit nicht nachträglich her. Die Anrechnung verfahrensfremder Untersuchungshaft nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB setzt einen funktionalen Zusammenhang oder zumindest einen irgendwie gearteten sachlichen Bezug zwischen den Verfahren voraus.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 22.01.2004)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Entschädigungsentscheidung in dem Beschluß des Landgerichts Berlin vom 22. Januar 2004 wird verworfen.

Die Landeskasse Berlin hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem ehemaligen Angeschuldigten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

 

Gründe

Mit der Anklage vom 28. November 2003 hatte die Staatsanwaltschaft Berlin dem ehemaligen Angeschuldigten zur Last gelegt, mit einem nicht ermittelten Mittäter am 11. November 1998 eine Angestellte in der Bäckerei ... in Berlin-Kreuzberg unter Vorhaltung einer Pistole zur Herausgabe von Bargeld gezwungen zu haben. Der Angeklagte hat sich aufgrund des dem Anklagesatz entsprechenden Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 11. Februar 1999 - 353 Gs 576/99 - vom 27. November 2003 bis zum 30. Dezember 2003 in Untersuchungshaft befunden. Mit Beschluß vom 22. Januar 2004 lehnte das Landgericht Berlin die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. In dem insoweit seit dem 10. Februar 2004 rechtskräftigen Beschluß hat das Landgericht darüber hinaus bestimmt, daß der frühere Angeschuldigte für die erlittene Untersuchungshaft zu entschädigen ist. Hiergegen richtet sich die nach § 8 Abs. 3 Satz 1 StrEG, § 311 Abs. 2 StPO zulässige sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

Die Strafkammer hat dem Angeschuldigten für die erlittene Untersuchungshaft zu Recht nach § 2 Abs. 1 StrEG eine Entschädigung gewährt.

1.

Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft ist diese nicht durch den Versagungsgrund des § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG ausgeschlossen. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG ist eine Entschädigung ausgeschlossen, wenn und soweit der Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahme vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat. Die Vorschrift bringt den für jedes Entschädigungsrecht unabdingbaren Grundsatz zum Ausdruck, daß derjenige, der durch sein eigenes zurechenbares Verhalten eine (entschädigungspflichtige) Strafverfolgungsmaßnahme ausgelöst hat, nicht auch noch entschädigt werden darf (D. Meyer, Strafrechtsentschädigung, 5. Aufl., § 5 Rn. 35). Dabei ist ein zivilrechtlicher Maßstab anzulegen (vgl. KG, Beschlüsse vom 6. August 2003 - 5 Ws 267/03 - und 13. November 2002 - 4 Ws 166/02 - m. weit. Nachw.) und mit der haftungsbegründenden Kausalität zu beginnen (Schätzler NStZ 1989, 233, 234), wobei darauf abzustellen ist, wie sich der Sachverhalt den Strafverfolgungsorganen in dem Zeitpunkt dargestellt hat, in dem die Maßnahme angeordnet bzw. aufrechterhalten wurde (Meyer-Goßner, StPO 47. Aufl., § 5 StrEG Rdn. 10 m. weit. Nachw.).

Hier gründete sich die Entscheidung über den Erlaß des Haftbefehls ausschließlich auf die Angaben der Zeugin T., die den Angeschuldigten in einer Lichtbildkartei identifiziert hatte. Der Angeschuldigte selbst war nach der Tat nicht auffindbar; zu dem Tatvorwurf konnte er daher auch nicht befragt werden. Nach seiner Festnahme am 27. November 2003 hat er dann eine Tatbeteiligung bestritten und angegeben, zur Tatzeit nicht in Deutschland gewesen zu sein. Bei einer daraufhin durchgeführten sequenziellen Wahlvideogegenüberstellung hat die Zeugin T. den Angeschuldigten nicht als Täter wiedererkannt. Die Zeugin zog zwar aufgrund der buschigen Augenbrauen den Angeschuldigten und eine Vergleichsperson als "vom Gesicht her als Täter in Frage kommend" in Betracht; eine eindeutige Zuordnung war ihr aber nicht möglich. Da weitere Beweismittel für eine Täterschaft des ehemaligen Angeschuldigten nicht vorlagen, war damit ein hinreichender Tatverdacht gegen diesen nicht mehr gegeben.

Mit der Frage der Täterschaft war auch die Frage der Anordnung und Fortdauer der Untersuchungshaft inhaltlich verbunden. Da hierfür aber weder eine Aussage noch ein Verhalten des ehemaligen Angeschuldigten bestimmend war, ist ein Ausschlußgrund nach § 5 Abs. 2 StrEG schon mangels Ursächlichkeit seines Verhaltens nicht gegeben; auf die Frage, ob er sich insoweit etwa grob fahrlässig verhalten hat, kommt es mithin nicht an.

Die erneute Einreise des ehemaligen Angeschuldigten kann - auch wenn sie gegen Strafbestimmungen verstößt - diese fehlende ursächliche Verknüpfung mit dem Erlaß des Haftbefehls nicht rückwirkend begründen. Die für den Haftgrund der Fluchtgefahr (zutreffender wäre damals die Annahme von Flucht gewesen) ursächliche Unauffindbarkeit des Beschwerdegegners in der Bundesrepublik Deutschland beruhte - höchstwahrscheinlich, da Anhaltspunkte für eine andere Sachverhaltsgestaltung fehlen - auf seiner Rückkehr...

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