Leitsatz (amtlich)
1. Nach ständiger Rechtsprechung beider Verkehrssenate des KG enthält § 7 Abs. 4 StVO eine Vorrangsregelung dahin, dass derjenige, der den durchgehenden Fahrstreifen befährt, Vorrang vor demjenigen, der auf seinem Fahrstreifen nicht durchfahren kann.
2. Eine Mithaftung des Bevorrechtigten kommt nur dann in Betracht, wenn er die Gefahr einer Kollision auf sich zukommen sehen musste und unfallverhütend reagieren kann; dann kann an eine Mithaftungsquote von ¼ gedacht werden.
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 59 O 282/07) |
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers durch Beschluss zurückzuweisen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 522 Abs. 2 ZPO).
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall am 14.6.2007 um 6:15 Uhr auf der Landsberger Allee in Berlin in Anspruch. Die Zeugin B.befuhr mit dem klägerischen Fahrzeug Nissan Micra mit dem amtlichen Kennzeichen B-...die Landsberger Allee in Richtung Rhinstraße auf der rechten von drei Geradeausspuren. Auf dieser Fahrspur befand sich eine Baustelle, so dass sie Zeugin B.auf den mittleren Fahrstreifen wechseln musste. Der Beklagte zu 1) befuhr mit dem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Lkw mit dem amtlichen Kennzeichen B-... den mittleren Fahrstreifen. Es kam zu einer Kollision der beiden vorgenannten Fahrzeuge, wobei der Hergang im Einzelnen zwischen den Parteien streitig ist.
Das LG Berlin hat die Klage nach Beweisaufnahme (Anhörung des Erstbeklagten sowie Vernehmung der Zeugin B.und des Zeugen R.) abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, gegen die Zeugin Bartsch spreche bereits der Beweis des ersten Anscheins, da sie einen Fahrstreifenwechsel vorgenommen habe. Der Kläger habe nicht bewiesen, dass die Fahrerin seines Fahrzeugs mit dem Reißverschlussverfahren an der Reihe gewesen sei und den Beklagten zu 1) ein Mitverschulden an dem Unfall treffe.
Mit der Berufung begehrt der Kläger weiterhin den Ersatz des ihm entstandenen Schadens nach einer Quote von 100 % und stützt dies im Wesentlichen darauf, das LG habe zu Unrecht einen Anscheinsbeweis gegen die Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs angenommen und dabei unberücksichtigt gelassen, dass es sich um einen sog. Reißverschlussverkehr gehandelt habe mit der Folge, dass den bevorrechtigten Verkehrsteilnehmer eine erhöhte Sorgfaltspflicht treffe. Die vom LG vorgenommene Beweiswürdigung überzeuge nicht: der Erstbeklagte habe das Klägerfahrzeug schlichtweg übersehen. Die Aussage des Zeugen R.lasse sich nicht mit den Beschädigungen am klägerischen Fahrzeug in Einklang bringen. Zudem würden weder die Beschädigungen am klägerischen Fahrzeug noch die von der Zeugin B.gefertigten Unfallskizze gegen ihrer Aussage sprechen. Die gefertigte Unfallskizze würde der Endstellung der klägerischen Fahrzeugs zum Lkw entsprechen, die durch die Beschädigungen am Nissan - durchgehend vom vorderen linken Radlauf bis zum hinteren linken Radlauf - bestätigt würde.
II. Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung erfolgreich nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.
Beides ist hier nicht der Fall.
1. Das LG hat einen Schadensersatzanspruch des Klägers aus §§ 7, 17 StVG, 823 BGB, 3 Nr. 1 PflVG zu Recht verneint. Unstreitig hat die Zeugin B.mit dem klägerischen Fahrzeug wegen eines Hindernisses auf ihrer Fahrspur einen Fahrstreifenwechsel nach links vorgenommen. Damit spricht aber - wie das LG zutreffend ausgeführt hat - der Beweis des ersten Anscheins gegen die Fahrerin des Klägerfahrzeugs.
Soweit der Kläger meint, der Anscheinsbeweis würde im Hinblick auf das "Reißverschluss-verfahren" nicht gelten, verhilft dies der Berufung nicht zum Erfolg. Die Anwendung der Grundsätze des "Reißverschlussverfahrens" (§ 7 Abs. 4 StVO) führt nicht zu einer Haftung der Beklagten. § 7 Abs. 4 StVO bestimmt folgendes:
"Ist auf Straßen mit mehreren Fahrstreifen für eine Richtung das durchgehende Befahren eines Fahrstreifens nicht möglich oder endet ein Fahrstreifen, so ist den am Weiterfahren gehinderten Fahrzeugen der Übergang auf den benachbarten Fahrstreifen in der Weise zu ermöglichen, dass sich diese Fahrzeuge unmittelbar vor Beginn der Verengung jeweils im Wechsel nach einem auf dem durchgehenden Fahrstreifen fahrenden Fahrzeug einordnen können (Reißverschlussverfahren).
Nach ständiger Rechtsprechung beider Verkehrssenate des KG enthält § 7 Abs. 4 StVO eine Vorrangsregelung dahin, dass derjenige, der den durchgehenden Fahrstreifen befährt, Vorrang hat vor demjenigen, der auf seinem Fahrstreifen nicht durchfahren kann (vgl. KG, Urt. v. 17.5.1979 - 22 U 707/79, DAR 1980, 186 = VM 1980 Nr. 27; Urt. v. 29.9.1983 - 12 U 3547/82 - VM 1984, 23 Nr. 25; Urt. v. 8.1.1987 - 12 U 2618/97 - VM 70 Nr. 82; Urt. v. 7.6.1990 - 12 U 4191/89 - VM 1990, 91 Nr. 118; Urt. v. 23.10.1995 - 12...