Leitsatz (amtlich)

  • 1.

    Jede verfahrensbeendende Entscheidung muss einen Ausspruch über eine Entschädigung enthalten, wenn im Laufe des Verfahrens eine freiheitsentziehende Maßnahme angeordnet worden war.

  • 2.

    Auch die einstweilige Unterbringung nach § 71 Abs. 2, Abs. 4 JGG stellt eine entschädigungspflichtige Strafverfolgungsmaßnahme dar, jedenfalls wenn sie auch zur Vermeidung von Untersuchungshaft und zur Verfahrenssicherung erfolgte.

  • 3.

    Das Beschwerdegericht prüft bei der Anwendung § 6 Abs. 2 StrEG nur das Vorliegen von Ermessensfehlern und ist an die tatsächlichen die Hauptentscheidung tragenden Feststellungen und die rechtliche Bewertung des Tatrichters gebunden.

  • 4.

    § 6 Abs. 2 StrEG ist auch bei einer Einstellung nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 JGG grundsätzlich anwendbar. Meint das Tatgericht, die - rechtmäßig angeordnete- einstweilige Unterbringung habe sich bei dem früheren Angeklagten als erzieherisch wirksam erwiesen, ist eine Anwendung des § 6 Abs. 2 StrEG nicht zu beanstanden.

 

Normenkette

JGG § 47 Abs. 1 Nr. 2, § 71 Abs. 2, 4; StrEG § 6 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 15.01.2008; Aktenzeichen (530) 1 Kap Js 896/06 KLs (85/06))

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der ehemaligen Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 15. Januar 2008 wird verworfen.

Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels. Von einer Anwendung des § 74 JGG wird abgesehen.

 

Gründe

Die Staatsanwaltschaft Berlin hat der Beschwerdeführerin mit Anklage vom 17. Oktober 2006 zur Last gelegt, gemeinsam mit fünf weiteren, zwischenzeitlich rechtskräftig verurteilten Personen, u.a. ihrer älteren Schwester und ihrer Mutter, versucht zu haben, ihren Vater zu ermorden. Aufgrund Beschlusses des Amtsgerichts Tiergarten vom 17. Mai 2006 ist die Beschwerdeführerin in dieser Sache vom 17. Mai 2006 bis zum 27. März 2007 gemäß §§ 72 Abs. 1, 2, 4, 71 Abs. 2 JGG einstweilig untergebracht gewesen in der Jugendhilfeeinrichtung der EJF-Lazarus gAG Frostenwalde in 16306 Hochenselchow-Groß Pinnow. Am 27. März 2007 hat das Landgericht Berlin den Unterbringungsbeschluss aufgehoben und die Beschwerdeführerin aus der Jugendhilfeeinrichtung entlassen. Am 31. Mai 2007, dem zehnten Tag der Hauptverhandlung, hat das Landgericht Berlin mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft das Verfahren, soweit es die Beschwerdeführerin betraf, gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 JGG eingestellt, da die aufgrund des Unterbringungsbefehls des Amtsgerichts Tiergarten vom 17. Mai 2006 erlittene Freiheitsentziehung eine Entscheidung durch Urteil entbehrlich mache. Eine Entscheidung hinsichtlich einer Entschädigung für vollzogene Strafverfolgungsmaßnahmen hat das Landgericht hierbei nicht getroffen. Den Antrag der Beschwerdeführerin vom 20. August 2007, sie für ihre einstweilige Unterbringung vom 17. Mai 2006 bis zum 27. März 2007 vollständig, hilfsweise teilweise zu entschädigen, hat das Landgericht Berlin mit Beschluss vom 15. Januar 2008 zurückgewiesen.

Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde der ehemaligen Angeklagten ist zulässig, § 8 Abs. 3 Satz 1 StrEG, aber nicht begründet. Das Landgericht hat der Beschwerdeführerin zu Recht eine Entschädigung vollständig versagt, § 6 Abs. 2 StrEG.

1.

Allerdings hat das Landgericht, als es das Verfahren gegen die Beschwerdeführerin mit Beschluss vom 31. Mai 2007 eingestellt hat, eine Entscheidung über die Entschädigung für ihre einstweilige Unterbringung versehentlich unterlassen. Denn über die Verpflichtung zur Entschädigung ist stets in der das Verfahren abschließenden Entscheidung zu befinden, wenn im Verlauf des Verfahrens eine entschädigungspflichtige Maßnahme nach § 2 StrEG angeordnet und vollzogen worden war, § 8 Abs. 1 Satz 1 StrEG, hier also bereits in dem Einstellungsbeschluss nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 JGG, bei dem es sich nicht um eine vorläufige, sondern um eine endgültige Einstellung handelt, da die erzieherischen Maßnahmen, im Hinblick derer das Verfahren eingestellt worden ist, bereits durchgeführt worden waren (vgl. Eisenberg/Reuther ZKJ 2006, 491, 492; OLG Nürnberg, NJW 2006, 1826/1827). Das Landgericht hat die Entschädigungsentscheidung jedoch in rechtlich zulässiger Weise in dem angefochtenen Beschluss vom 15. Januar 2008 nachgeholt. Die Nachholung der gebotenen, aber versehentlich unterlassenen Entscheidung über die Entschädigung ist zulässig (OLG Düsseldorf NJW 1999, 2830; OLG Nürnberg a.a.O.; Schätzler/Kunz, StrEG 3. A., § 8 Rdnr. 28 f.; Meyer-Goßner, StPO 51. A., § 8 StrEG Rdnr. 7; a.A. Meyer, StrEG 8. A., § 8 Rdnr. 24 ff.), da in § 8 Abs. 1 Satz 2 StrEG - wenn auch für einen Sonderfall - ein gesondertes Beschlussverfahren ausdrücklich vorgesehen ist und der Umstand, dass die verfahrensbeendete Entscheidung über die Frage der Entschädigung schweigt, keine (konkludente) Ablehnung bedeutet; vielmehr ist stets eine ausdrückliche - zuerkennende oder absprechende - Entschädigungsentscheidung erforderlich.

2.

Die gegen die Beschwerdeführerin vollzogene einstweilige Unterbringung stellt eine entschädigungsfähig...

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