Leitsatz (amtlich)
Als ergänzendes Merkmal des § 5 Abs. 3 MitBestG ist auf Seiten der Zwischengesellschaft eine qualifizierte oder wenigstens einfache Leitung oder ein Mindestmaß an eigener tatsächlich ausgeübter Leitungsmöglichkeit nicht zu fordern. Ob ausnahmsweise etwas anderes gilt, wenn auch die Konzernleitung keine Leitungsmacht ausübt, bleibt offen.
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 17.07.2015; Aktenzeichen 102 O 6/15 AktG) |
Tenor
1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des LG Berlin vom 17.7.2015, 102 O 6/15, wird zurückgewiesen.
2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten der Beschwerde nach dem Wert von 50.000 EUR zu tragen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Die Antragsteller sind die Betriebsräte der S.E.S.GmbH. 100-prozentige Muttergesellschaft dieser GmbH ist die Antragsgegnerin. Diese, deren Sitz in Berlin liegt, ist als "Zwischengesellschaft" ferner 100-prozentige Muttergesellschaft von neun weiteren Gesellschaften mit beschränkter Haftung und ihrerseits eine 100-prozentige Tochtergesellschaft der S.E.I.S.in Frankreich (Konzernleitung). Die Antragsgegnerin beschäftigt keine Mitarbeiter. Die Zahl der Arbeitnehmer der Gesellschaften, deren Anteile die Antragsgegnerin hält, beläuft sich auf ca. 4.500 Personen.
Die Antragsteller verlangen die Feststellung, dass die Antragsgegnerin einen Aufsichtsrat nach den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes (MitBestG) bilden muss. Die Antragsgegnerin sieht sich hierzu als nicht verpflichtet an. Sie meint, sie sei kein "herrschendes Unternehmen" im Sinne § 5 Abs. 3 MitBestG, weil sie keine Leitungsmacht über die von ihr beherrschten Unternehmen ausübe.
Das LG Berlin, auf dessen Entscheidung entsprechend § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat dem Feststellungsantrag stattgegeben. Die Antragsgegnerin sei nach § 6 Abs. 1 MitBestG verpflichtet, einen Aufsichtsrat nach den Vorschriften des MitBestG zu bilden. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 MitBestG lägen vor. Nach § 5 Abs. 3 MitBestG gelte die Antragsgegnerin als "herrschendes Unternehmen", so dass nach § 5 Abs. 1 MitBestG für die Anwendung des MitBestG die 4.500 Arbeitnehmer der von ihr beherrschten Gesellschaften als ihre Arbeitnehmer gelteten. Die Fiktion des § 5 Abs. 3 MitBestG greife bereits bei einer Beherrschung ein; auf eine Leitungsmacht komme es nicht an.
Gegen diese ihr am 31.7.2015 zugestellte Entscheidung hat die Antragsgegnerin mit beim LG am 31.8.2015 eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt, der das LG nicht abgeholfen hat. Die Antragstellerin ist weiterhin der Ansicht, keinen Aufsichtsrat bilden zu müssen, da sie als Zwischengesellschaft keine Leitungsmacht auf die von ihr beherrschten Gesellschaften ausübe. Es könne nicht sein, dass sie gezwungen sei, einen Aufsichtsrat zu bilden, der keine Aufgaben habe. Dass sie zu einer Leitungsmacht theoretisch in der Lage sei, sei unerheblich.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Beschluss des LG Berlin vom 17.7.2015, 102 O 6/15, abzuändern und den von den Antragstellern gestellten Antrag zurückzuweisen.
Die Antragsteller schließen sich dem angegriffenen Urteil an und beantragen, die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Akte verwiesen.
B.I. Die Beschwerde ist gemäß § 99 Abs. 2 Satz 3 AktG statthaft und zulässig, insbesondere frist- und formgerecht (§§ 63, 65 FamFG). Die Antragsgegnerin ist ungeachtet § 99 Abs. 4 Satz 3 AktG auch beschwerdeberechtigt. Zwar verweist diese Bestimmung auf § 98 Abs. 2 AktG - der die Gesellschaft nicht als antragsberechtigt ansieht. Bei der Verweisung handelt es sich aber erkennbar um einen teilweisen Redaktionsfehler. § 99 Abs. 4 Satz 4 AktG, wonach die Beschwerdefrist mit der Bekanntmachung der Entscheidung im Bundesanzeiger, für den Antragsteller und die Gesellschaft jedoch nicht vor der Zustellung der Entscheidung beginnt, wäre nicht zu verstehen, sähe man die Gesellschaft selbst nicht als beschwerdebefugt an (siehe auch Habersack, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 4. Auflage 2014, § 99 Rn. 19).
II. Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt nicht das Recht. Die - zwischen den Beteiligten allein streitigen - Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 MitBestG liegen vor. Zur Begründung verweist der Senat auf die sehr sorgfältige Begründung in der angegriffenen Entscheidung. Er macht sich diese Ausführungen nach eigener Prüfung zu eigen. Ergänzend weist er auf Folgendes hin:
1. Die Antragsgegnerin als Zwischengesellschaft muss nach ganz überwiegender Ansicht der Rechtsprechung für eine Anwendung des § 5 Abs. 3 MitBestG keine eigene Leitungsmacht ausüben (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 21.4.2008 - 20 W 342/07, NJOZ 2010, 1096; OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.4.2008 - 20 W 8/07, OLGReport Frankfurt 2008, 890; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.10.2006 - I-26 W 14/06 AktE, NZA 2007, ...