Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsentscheid zur Fortgeltung einer in einem DDR-Mietvertrag vereinbarten kurzen Kündigungsfrist
Normenkette
ZGB DDR § 120; BGB § 565 Abs. 2; BGBEG Art. 232 § 2 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die in einem während der Geltung des Zivilgesetzbuchs der DDR (ZGB) geschlossenen Mietvertrag enthaltene Klausel, wonach der Mieter das Wohnraummietverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen kündigen kann, gilt als wirksame vertragliche Vereinbarung nach dem 3. Oktober 1990 fort.
Tatbestand
I.
Die Beklagten schlossen im Jahre 1988 im heutigen Beitrittsgebiet mit der Rechtsvorgängerin der Klägerin einen schriftlichen Wohnungsmietvertrag über eine dort belegene Wohnung.
Das von den Vertragsparteien unterzeichnete Vertragsformular hat unter anderem folgenden Wortlaut:
IX. Beendigung des Mietverhältnisses
Das Mietverhältnis endet durch:
- Vereinbarung der Vertragspartner
- Kündigung durch den Mieter
- gerichtliche Aufhebung.
- Die Kündigung muß schriftlich – spätestens 2 Wochen vor Beendigung des Mietverhältnisses – erfolgen.
Mit Schreiben vom 13. Oktober 1995 kündigten die Beklagten das Mietverhältnis zum 30. November 1995. Sie gaben die Wohnung am 30. November 1995 zurück.
Mit der Klage verlangt die Klägerin von den Beklagten Zahlung des Mietzinses für die Monate Dezember 1995 und Januar 1996. Sie ist der Auffassung/die Kündigungsfrist betrage nicht zwei Wochen, sondern gemäß § 565 Abs. 2 BGB mindestens drei Monate.
Das Amtsgericht Hohenschönhausen hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Vertragsparteien hätten unter Ziff. IX des Wohnungsmietvertrages wirksam eine zweiwöchige Kündigungsfrist vereinbart. Diese vertragliche Vereinbarung sei nicht durch die Regelung des § 565 Abs. 2 BGB ersetzt worden, sondern gelte fort.
Mit der Berufung wendet sich die Klägerin gegen diese Rechtsauffassung des Amtsgerichts. Sie meint, der Regelung der Kündigungsfrist im Wohnungsmietvertrag komme kein eigenständiger Regelungsgehalt zu, da die Vertragsparteien lediglich den Wortlaut des § 120 Abs. 2 ZGB wiederholt hätten. Diese Vorschrift sei zwingendes Recht gewesen, zumindest aber von ihrer Rechtsvorgängerin bei Vertragsschluß als solches angesehen worden. Aus diesem Grund sei bei der Vertragsunterzeichnung noch nicht einmal in Erwägung gezogen worden, von der in § 120 ZGB vorgesehenen zweiwöchigen Kündigungsfrist abzuweichen.
Die Beklagten treten der Berufung entgegen. Sie tragen vor, bei Abschluß des Mietvertrages sei über die Kündigungsregelung nicht gesprochen worden, da für sie keine Veranlassung bestanden habe, von der im Formularvertrag vorgesehenen, für sie günstigen zweiwöchigen Kündigungsfrist abzuweichen. Die vertraglich vereinbarte zweiwöchige Kündigungsfrist sei von ihnen, den Beklagten, so gewollt gewesen.
Die mit der Berufung befaßte Kammer des Landgerichts hat am 5. September 1997 beschlossen, einen Rechtsentscheid des Kammergerichts zu folgender Frage einzuholen:
Gilt eine vertragliche Regelung, die während der Geltung der ZGB getroffen worden ist und wonach der Mieter das Wohnraummietverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen kündigen kann, nach dem 3. Oktober 1990 fort?
Das Landgericht bejaht die Vorlagefrage und hat zur Begründung unter anderem ausgeführt:
Bei der vorliegenden Formularklausel handele es sich um eine vertragliche Vereinbarung, die unbeschadet der Gesetzesänderung fortgelte.
§ 120 Abs. 2 ZGB könne nicht als zwingende Vorschrift angesehen werden und schließe daher eine vertragliche Vereinbarung nicht aus.
Nach dem einschlägigen Kommentar, von dessen Maßgeblichkeit ausgegangen werden müsse, hätten in Mietverträgen längere Kündigungsfristen vereinbart werden können. Diese Interpretation stehe in Übereinstimmung mit § 45 Abs. 3 ZGB. Auch das ZGB sei – jedenfalls von der Konzeption her – grundsätzlich subsidiär anzuwendendes Recht gewesen. Es habe auch tatsächlich Mietverträge mit abweichenden Kündigungsfristen gegeben. Dem möglicherweise abweichenden Willen im Gesetzgebungsverfahren komme demgegenüber keine entscheidende Bedeutung zu.
Darüber hinaus verbiete aber auch eine zwingende gesetzliche Vorgabe nicht, den betreffenden Sachverhalt vertraglich zu regeln, sofern die vertragliche Vereinbarung mit den zwingenden gesetzlichen Vorgaben übereinstimme. Auch einer solchen – mit den zwingenden gesetzlichen Vorgaben übereinstimmenden – vertraglichen Vereinbarung komme ein eigenständiger Regelungsgehalt zu. So könnten die Parteien eine Bestimmung bewußt treffen wollen, um etwaigen Gesetzesänderungen vorzubeugen. Es könne aber auch sein, daß die Parteien das betreffende Gesetz schlicht nicht kennen. Wenn der wahre Wille der Vertragsparteien nicht zu ermitteln sei, könne die Vertragsbestimmung schwerlich – entgegen ihrem klaren Wortlaut – dahin uminterpretiert werden, daß eine Regelung in Wirklichkeit gar nicht gewollt sei und die jeweilige gesetzliche Regelung gelten solle.
Beiden Parteien ist Gelegenheit gegeben worden, ...