Entscheidungsstichwort (Thema)
Abschiebungshaftverfahren: vorläufige Freiheitsentziehung auf Grund eines rechtswidrigen Beschlusses
Leitsatz (amtlich)
1. Kann der Ausländer im Abschiebungshaftverfahren nicht angehört werden, weil ein Dolmetscher nicht zur Verfügung steht, setzt die Rechtmäßigkeit einer vorläufig angeordneten Freiheitsentziehung nach § 11 FEVG die unverzügliche, d.h. so bald als mögliche Nachholung der Anhörung voraus. Eine erst nach sechs Tagen nachgeholte Anhörung im Beisein eines Dolmetschers ist nicht mehr unverzüglich in diesem Sinn.
2. Wird gegen das Gebot vorhergehender oder unverzüglich nachzuholender Anhörung verstoßen, so drückt dieses Unterlassen auch der nach § 11 FEVG angeordneten einstweiligen Freiheitsentziehung den Makel rechtswidriger Freiheitsentziehung auf, der durch spätere Nachholung der Maßnahme nicht mehr zu tilgen ist.
3. Wird einem Ausländer die Freiheit auf Grund eines rechtswidrigen Beschlusses vorläufig entzogen und stellt er aus der Haft heraus einen Asylantrag, steht dieser Antrag der Anordnung von Abschiebungshaft entgegen; § 14 Abs. 4 S. 1 AsylVfG findet in diesem Fall keine Anwendung.
Normenkette
FEVG §§ 5, 11; AsylVfG § 14
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 09.07.2007; Aktenzeichen 84 T 56/07 B) |
AG Berlin-Schöneberg (Aktenzeichen 70-XIV 2780/04 B) |
Tenor
Der Beschluss des LG Berlin vom 9.7.2007 - 84 T 56/07 - wird abgeändert.
Es wird festgestellt, dass die mit Beschlüssen des AG Schöneberg vom 13.10.2004 und vom 19.10.2004 angeordnete Freiheitsentziehung des Betroffenen rechtswidrig war.
Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden zur Hälfte dem Land Berlin auferlegt.
Der Wert des Verfahrens beträgt 3.000 EUR.
Gründe
A. Der Betroffene wurde am 13.10.2004 gegen 12.00 Uhr in Berlin ausländerrechtlich überprüft und, da er weder einen Pass noch ein Visum besaß, festgenommen. Die Ausländerbehörde beantragte bei dem AG Schöneberg mit dort um 14.29 Uhr eingegangenem Fax vom selben Tag die Anordnung von Haft zur Sicherung der Abschiebung und regte an, "einen Dolmetscher hinzuzuziehen". Der Betroffene wurde um 16.44 Uhr der Richterin vorgeführt. Diese ordnete die einstweilige Freiheitsentziehung gem. § 11 FEVG bis zum Ablauf des 19.11.2004 an und beraumte einen Termin zur Anhörung des Betroffenen auf den 19.10.2004 an. In dem Protokoll der Sitzung wurde festgestellt, dass der Betroffene kein Deutsch spreche. Ein Dolmetscher wurde nicht hinzugezogen.
Gegen diesen Beschluss wandte sich der Betroffene mit seiner sofortigen Beschwerde vom 15.10.2004. Mit anwaltlichem Schreiben vom selben Tag stellte er bei dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge einen Asylantrag.
Am 19.10.2004 wurde der Betroffene in Anwesenheit eines Dolmetschers durch das AG Schöneberg angehört. Dort gab er an, mit dem Flugzeug über Budapest, wo er sich ca. 30 Minuten im Flughafen aufgehalten habe, nach Deutschland eingereist zu sein. Bei seiner Festnahme habe er erklärt, einen Asylantrag stellen zu wollen. Ihm sei gesagt worden, dass er hierzu im Rahmen der Abschiebehaft Gelegenheit bekäme. Das AG ordnete am Schluss dieser Sitzung Sicherungshaft bis zum 18.1.2004 an.
Hiergegen wandte sich der Betroffene mit seiner sofortigen Beschwerde vom 20.10.2004 mit der zugleich beantragte festzustellen, dass er durch den Antragsteller rechtswidrig in Abschiebehaft genommen worden sei. Mit an das LG gerichtetem anwaltlichem Schreiben vom 21.10.2004 änderte der Betroffene seinen Antrag vom 15.10.2004 dahin, dass er nunmehr die Feststellung begehrte, dass er seit seiner Festnahme bis zur Anhörung durch den Haftrichter am 19.10.2004 zu Unrecht in Abschiebehaft genommen worden sei.
Am 25.10.2004 nahm die Ausländerbehörde den Haftantrag zurück und der Betroffene wurde entlassen, weil der Asylantrag als beachtlich eingestuft worden war. Der Betroffene erklärte darauf seine Beschwerde vom 21.10.2004 in der Hauptsache für erledigt, hielt aber an dem Feststellungsantrag fest.
Mit Beschluss vom 14.9.2006 wies das LG den Feststellungsantrag vom 21.10.2004 zurück. Diesen Beschluss hat der 25. Zivilsenat des KG mit Beschluss vom 20.12.2006 aufgehoben und zur weiteren Behandlung an das LG zurückgewiesen, weil das LG nur Feststellungen zur Rechtswidrigkeit der Haft auf Grundlage des Beschlusses vom 19.10.2004 getroffen hatte, nach Ansicht des Senats die von dem Betroffenen beantragte Feststellung aber auch den vorherigen Zeitraum seit seiner Festnahme umfasste. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das LG bei einer umfassenden Prüfung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.
Das LG hat daraufhin mit Beschluss vom 9.7.2007 die Feststellungsanträge insgesamt zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde Betroffenen vom 22.8.2007.
B.I. Die mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung auf Grundlage der Beschlüsse des AG vom 13. und 19.10.2004 erhobene sofortige weitere Beschwerde ist zulässig, insb. ist sie form- u...