Leitsatz (amtlich)
1. Ein Mitzieheffekt kann den Fahrlässigkeitsvorwurf beim Rotlichtverstoß allenfalls dann verringern, wenn der Betroffene zunächst rechtstreu an der Lichtzeichenanlage anhält, dann aber, z. B. veranlasst durch das Anfahren anderer Verkehrsteilnehmer, unter Nichtbeachtung des Rotlichts losfährt (“Sog-Wirkung„).
2. Ein Betroffener kann sich grundsätzlich nicht darauf berufen, dass er beruflich auf seine Fahrerlaubnis angewiesen ist, wenn er das verwirkte Regelfahrverbot durch mangelnde Verkehrsdisziplin leichtfertig riskiert hat.
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 14.08.2018) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 14. August 2018 wird verworfen.
Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Tiergarten hat den Betroffenen wegen eines fahrlässig begangenen Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße von 200,00 Euro verurteilt, nach § 25 Abs. 1 StVG ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet und nach § 25 Abs. 2a StVG eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen.
Gegen das am 21. September 2018 zugestellte Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat mit Zuschrift vom 31. Oktober 2018 beantragt, die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
Die am 14. November 2018 eingegangene Gegenerklärung des Verteidigers lag dem Senat bei seiner Entscheidung vor.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
1) Die mit der Gegenerklärung als Verletzung des rechtlichen Gehörs bezeichnete, als Inbegriffsrüge auszulegende, erstmalig erhobene Einwendung, das Amtsgericht habe die Teilnahme des Betroffenen an einer Verkehrsschulung nicht in seinem Urteil berücksichtigt, ist unzulässig.
Unschädlich ist zwar die falsche Begriffswahl, da die Begründung deutlich erkennen lässt, welche Beanstandung erhoben werden soll (vgl. BGH NStZ 2017, 52 mwN; Senat VRS 130, 251). Allerdings ist die Verfahrensrüge als verspätet zurückzuweisen, da sie nicht innerhalb der Frist der § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO erhoben worden ist.
2) Soweit sich der Rechtsmittelführer mit der Sachrüge insbesondere gegen die Anordnung des Fahrverbotes wendet, deckt die Überprüfung des angefochtenen Urteils keinen ihn belastenden Rechtsfehler auf.
Bei einer länger als eine Sekunde andauernden Rotlichtphase hat der Verordnungsgeber regelmäßig eine zumindest abstrakte Gefährdung unterstellt, weil sich Querverkehr und/oder Fußgänger nach dieser Zeit bereits im Bereich der durch Rotlicht gesperrten Fahrbahn befinden können. Die Missachtung des schon mehr als eine Sekunde andauernden Rotlichts gehört daher zu den Ordnungswidrigkeiten, bei denen regelmäßig die Anordnung eines Fahrverbots in Betracht kommt (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschluss vom 31. Juli 2015 - 3 Ws (B) 356/15 -, juris). Diese Bindung der Sanktionspraxis dient der Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer und der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der durch bestimmte Verkehrsverstöße ausgelösten Rechtsfolgen (BVerfG NZV 1996, 284).
Folgerichtig ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass aufgrund der rechtskräftigen Feststellungen (nach §§ 24, 25 Abs. 1 Satz 1, 26a StVG iVm § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV iVm lfdNr. 132.3) wegen einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers neben der Anordnung einer Geldbuße die Verhängung eines Regelfahrverbots indiziert war.
Ein Absehen von der Anordnung eines Fahrverbotes kommt nur dann in Betracht, wenn entweder besondere Ausnahmeumstände in der Tat oder in der Persönlichkeit des Betroffenen offensichtlich gegeben sind und deshalb erkennbar nicht der von § 4 BKatV erfasste Normalfall vorliegt oder wenn eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände, die in ihrer Gesamtheit eine Ausnahme zu begründen vermögen, oder wenn durch die Anordnung eines Fahrverbots bedingte erhebliche Härten oder gar eine Härte außergewöhnlicher Art eine solche Entscheidung als nicht gerecht erscheinen lassen (vgl. Senat, Beschluss vom 28. Oktober 1996 - 3 Ws (B) 445/96 -). Dem tatrichterlichen Beurteilungsspielraum sind jedoch der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit wegen enge Grenzen gesetzt und die gerichtlichen Feststellungen müssen die Annahme eines Ausnahmefalles nachvollziehbar erscheinen lassen (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Juni 2014 - 3 Ws (B) 285/14 -; VRS 108, 286 m.w.N.).
a) Von einem Fahrverbot könnte also zunächst allenfalls dann abgesehen werden, wenn kein besonders schwerwiegender Rotlichtverstoß gegeben ist, weil eine auch nur abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer völlig ausgeschlossen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Januar 2018 - 3 Ws (B) 329/17 -).
Für einen solchen Ausnahmefall gibt es nach den Feststellungen des Amtsgerichts keinerlei Anhaltspunkte. Der Umsta...