Entscheidungsstichwort (Thema)
Gutachtenerstellung durch Arzt im Praktikum
Leitsatz (amtlich)
In einem Unterbringungsverfahren kann ein Arzt im Praktikum grundsätzlich nicht zum Sachverständigen bestellt werden, weil er in der Regel noch nicht über ausreichende Erfahrungen auf dem Gebiet der Psychiatrie verfügt. Wurde dies von dem Tatrichter nicht berücksichtigt, so führt die Verwertung eines entsprechenden Gutachtens gleichwohl nicht zur Rechtswidrigkeit der Unterbringungsmaßnahme, wenn ein ausreichend qualifizierter Arzt nach eigener Untersuchung des Betroffenen durch Mitunterzeichnung des Gutachtens Verantwortung hierfür übernommen hatte und es deshalb auszuschließen ist, dass der Tatrichter, hätte er den Verfahrensfehler vermieden oder rechtzeitig selbst bemerkt, auf einer anderen Grundlage entschieden hätte.
Normenkette
FGG § 70e
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 05.06.2003; Aktenzeichen 83 T 118/02) |
AG Berlin-Mitte (Aktenzeichen 54 XVII Z 148) |
Tenor
Die sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Die mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der mit Beschluss des Vormundschaftsgerichts vom 21.12.2001 erfolgten Genehmigung der Unterbringung eingelegte sofortige weitere Beschwerde ist zulässig, §§ 70 Abs. 1 S. 2 Nr. 1b), 70g Abs. 3, 70m Abs. 1 S. 1, 22, 27, 29 FGG. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Das Rechtsschutzinteresse der Betroffenen ist nicht durch ihre zwischenzeitliche Entlassung entfallen. Die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Unterbringungsmaßnahme ist möglich. Art. 19 Abs. 4 GG gebietet die Annahme eines Rechtsschutzinteresses in Fällen tief greifender Grundrechtseingriffe, in denen sich eine direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann. Eine Unterbringungsmaßnahme ist ein tief greifender Grundrechtseingriff (BVerfG v. 10.5.1998 - 2 BvR 978/97, NJW 1998, 2432 ff.; BVerfG v. 5.12.2001 - 2 BvR 527/99, 2 BvR 1337/00, 2 BvR 1777/00, BVerfGE 104, 220 ff.). Die Betroffene konnte aufgrund der bis zum 7.2.2002 genehmigten Unterbringung auch keine Entscheidung in den von der Verfahrensordnung vorgegebenen Instanzen erreichen (vgl. Senat, Beschl. v. 23.5.2000 - 1 W 2749/00, KGReport Berlin 2000, 279 = FGPrax 2000, 213 f.).
II. Das Feststellungsbegehren hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Nach § 1906 Abs. 2 S. 1 BGB bedarf die mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die Unterbringung zum Wohl des Betroffenen erforderlich ist, weil auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt, § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB, oder eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann, § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Dabei ist die Erforderlichkeit der Unterbringung einer strengen Prüfung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu unterziehen (BVerfG v. 23.3.1998 - 2 BvR 2270/96, NJW 1998, 1774, 1775). Die Unterbringung zur Durchführung einer Heilbehandlung ist nur zulässig, wenn sie sich als unumgänglich erweist, um eine drohende gewichtige gesundheitliche Schädigung von dem Kranken abzuwenden (BVerfG, a.a.O.; Senat, Beschl. v. 24.5.2005 - 1 W 91/05, KGReport Berlin 2005, 621 = OLGReport 2005, 621, 622).
2. Das LG hat ausgeführt: Die Betroffene leide seit ca. 1975 an einer schizoaffektiven Psychose, die zu zahlreichen Krankenhausaufenthalten geführt habe. Der Betroffenen fehle die Bereitschaft, sich entsprechend der Erkrankung medikamentös behandeln zu lassen. Ohne die dringend erforderliche konsequente neuroleptische Behandlung sei es wie in der Vergangenheit auch zu krankheitsbedingten Fehlhandlungen und Fehleinschätzungen der Realität gekommen. Dieses Fehlverhalten habe zu erheblichen Spannungen im Wohnumfeld der Betroffenen geführt, es habe auch schon einen Wohnungsverlust nach sich gezogen. Ohne konsequente Behandlung bestehe die Gefahr einer weiteren episodisch zunehmenden Chronifizierung der Erkrankung verbunden mit einer Defektsymptomatik. Die im Rahmen der Unterbringung erfolgte medikamentöse Behandlung sei auch erfolgreich; es habe zumindest vorübergehend über einen gewissen Zeitraum eine Stabilisierung der Betroffenen erreicht werden können. Zum Zeitpunkt ihrer Unterbringung sei die Betroffene einwilligungsunfähig gewesen; die durchgeführte medikamentöse Behandlung habe keiner Genehmigungspflicht unter...