Leitsatz (amtlich)
1. Die Annahme, der Betroffene habe einen Rotlichtverstoß begangen, erfordert die gerichtliche Feststellung, dass er die Haltlinie der für ihn geltenden und rotes Licht abstrahlenden Wechsellichtzeichenanlage überfahren hat.
2. Ob er dabei vorsätzlich gehandelt hat, bestimmt sich nach den allgemeinen Grundsätzen gemäß § 10 OWiG. Für die Feststellung des bedingten Vorsatzes muss das Tatgericht darlegen, aufgrund welcher Umstände der Betroffene es mindestens für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, die Haltlinie der für ihn geltenden Lichtzeichenanlage bei Rot zu überfahren.
3. Feststellungen dazu, dass der Betroffene die Wechsellichtanlage wahrgenommen hat, bedarf es im Regelfall nicht. Denn der Tatrichter kann davon ausgehen, dass ein Fahrer grundsätzlich die gut sichtbare Ampelanlage mit der in § 37 Abs. 2 Satz 1 StVO bestimmten Farbfolge im Blick hat (vergleichbar mit den ordnungsgemäß aufgestellten Vorschriftszeichen, dazu BGHSt 43, 242) und von einer bereits gelbes Licht abstrahlenden Lichtzeichenanlage nicht überrascht wird, es sei denn, die Hauptverhandlung ergibt konkrete gegenteilige Anhaltspunkte.
4. Die bisherige Rechtsprechung des Senates geht davon aus, dass eine Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Rotlichtverstoßes nur dann erfolgen kann, wenn das Tatgericht Feststellungen getroffen hat, mit welcher Geschwindigkeit sich der Betroffene der Lichtzeichenanlage genähert und aus welcher Entfernung zur Haltlinie er das dem Rotlicht vorausgehende Gelblicht bemerkt hat (ständige Rechtsprechung für alle: Senat, Beschluss vom 17. Februar 2015 - 3 Ws (B) 24/15 -).
Diese Darlegungen können auch weiterhin eine Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Rotlichtverstoßes tragen.
5. Wenn aber das Tatgericht diese Feststellungen - etwa aus Beweisnöten - nicht treffen kann, bedeutet es im Umkehrschluss nicht, dass dem Tatgericht eine entsprechende Verurteilung gestützt auf andere Feststellungen versagt ist. Soweit die bisherige Rechtsprechung des Senats eine solche Einengung postuliert hat, gibt der Senat sie auf. Denn diese Verengung übersieht, dass die Verkehrssituationen, in denen es zu einem vorsätzlichen Rotlichtverstoß kommen kann, vielfältig sein können und dementsprechend auch die erforderlichen gerichtlichen Feststellungen.
Normenkette
StVO § 37 Abs. 2; OWiG § 10
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 17.03.2021; Aktenzeichen 340 OWi 666/20) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 17. März 2021 wird als unbegründet verworfen.
Der Betroffene hat die Kosten seiner Rechtsbeschwerde zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den verkehrsrechtlich vorbelasteten Betroffenen am 17. März 2021 wegen eines vorsätzlichen Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße von 200 Euro verurteilt.
Das Gericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Am 12.8. 2020 befuhr der Betroffene mit dem PKW xx gegen 20.52 Uhr die G. in 1xxxx Berlin in Richtung M. Straße. Obwohl er die für ihn geltende, von grün auf gelb umschaltende Lichtzeichenanlage an der Kreuzung G./M. Straße sah und zumindest billigend in Kauf nahm, dass er diese nicht mehr bei gelb passieren konnte, beschleunigte er sein Fahrzeug stark und überfuhr die Haltelinie bei für ihn Rotlicht abstrahlender Ampel. Als die Lichtzeichenanlage auf Rot umschaltete, befand sich der Betroffenen noch 2-3 Fahrzeuglängen vor der Haltelinie.
Das Gericht führt im Rahmen der rechtlichen Würdigung weiter aus, dass der Betroffene, indem er sein Fahrzeug beim Umschalten der Lichtzeichenanlage auf gelb beschleunigte, anstatt die Geschwindigkeit zu reduzieren, gezeigt hat, dass er die Lichtzeichenanlage wahrgenommen hat und zumindest billigend in Kauf nahm, die Haltelinie bei Rot zu passieren.
Der Betroffene hat gegen dieses Urteil einen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt, mit dem er sachliches und formelles Recht rügt. Zur Begründung lässt er u.a. vortragen, dass das Gericht seine Einlassung unzutreffend wiedergebe und diese unzutreffenden Angaben den Feststellungen zum Vorsatz zugrunde lege. Entgegen der gerichtlichen Darstellung habe er kein sehr leises Dieselfahrzeug, dessen Beschleunigung nicht hörbar sei, sondern ein Elektrofahrzeug, welches beinah lautlos sei, gesteuert. Auch habe das Gericht sich nicht an die Vorgaben des Senats zu den Feststellungen eines vorsätzlichen Rotlichtverstoßes gehalten. Danach bedürfe es zur Annahme des Vorsatzes Angaben zur Geschwindigkeit des Betroffenen, mit der er sich der Lichtzeichenanlage näherte und Angaben dazu, aus welcher Entfernung zur Haltlinie er das dem Rotlicht vorausgehende Gelblicht bemerkt habe. Solche Feststellungen enthalte das Urteil nicht. Im Weiteren wird die Beweiswürdigung des Gerichts in Frage gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 30. April und 27. Mai 2021 verwiesen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit ihrer Zuschrift vom 14. Mai 2021 die Verwerfung des Antrages auf Zulassung der Rechtsbeschwerde mangels Vorliegens eines Zulas...