Leitsatz (amtlich)
Eine Verletzung des förmlichen Beweisantragsrechts setzt voraus, dass in der Hauptverhandlung überhaupt ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag gestellt worden ist. Allein die Stellung von Beweisanträgen in einem Hauptverhandlungstermin, der zur Aussetzung der Hauptverhandlung führte, reicht dazu nicht aus, denn nach einer Aussetzung der Hauptverhandlung bedarf es der Wiederholung bereits früher gestellter Beweisanträge im neuen Hauptverhandlungstermins.
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 04.06.2010; Aktenzeichen 319 OWi 258/10) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 4. Juni 2010 wird mit der Maßgabe verworfen, dass festgestellt wird, dass das verhängte Fahrverbot einen Monat beträgt.
Der Betroffene hat die Kosten der Rechtsbeschwerde zu tragen.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen § 24 a Abs. 2 Satz 1 und 2 StVG nach § 24 a Abs. 3 und 4 StVG zu einer Geldbuße von 250,00 Euro verurteilt, gemäß § 25 a Abs. 1 StVG ein Fahrverbot von (wie sich lediglich aus den Urteilsgründen ergibt) einem Monat angeordnet und nach § 25 Abs. 2 a StVG eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gerügt wird, hat keinen Erfolg.
1.
Die Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe zwei vom Betroffenen gestellte Beweisanträge gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zurückgewiesen, obwohl die geforderte Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit erforderlich gewesen sei, und zudem seine Entscheidung nicht ausreichend begründet, ist zumindest unbegründet.
a)
Soweit mit der Rechtsbeschwerde die Behauptung aufgestellt wird, das Amtsgericht habe im Hauptverhandlungstermin vom 4. Juni 2010 entgegen der erfolgten Protokollierung, die sich auf den "Beweisantrag Bl. 62 d.A." bezieht, den auf Bl. 61 d.A. befindlichen Beweisantrag zurückgewiesen und es müsse sich insoweit um einen Schreibfehler der Protokollführerin handeln, steht dem die formelle Beweiskraft des Sitzungsprotokolls nach § 274 StPO entgegen, die positiv bedeutet, dass im Protokoll vermerkte Vorgänge als geschehen gelten, und negativ, dass als nicht geschehen gilt, was im Protokoll nicht vermerkt ist, und die nur durch den - hier nicht geltend gemachten - Nachweis der Fälschung gemäß § 274 Satz 2 StPO durchbrochen werden kann (vgl. Senat, VRS 104, 141 (142); KG, Beschluss vom 28. Januar 2002 -(4) 1 Ss 167/01 (122/01) - [...] Rn. 3; Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl., Rn. 3, 13, 14; Engelhardt in KK, StPO 6. Aufl., Rn. 7; jeweils zu § 274 StPO). Beweisanträge und die diese bescheidenden Beschlüsse des Gerichts gehören jedoch zu den nach § 273 Abs. 1 StPO zu protokollierenden Verhandlungsvorgängen, die der besonderen Beweiskraft des Protokolls nach § 274 StPO unterliegen (vgl. RGSt 25, 248 (250); BGHSt 1, 216 (217); OLG Hamm VRS 38, 293 (294); Gollwitzer in Löwe-Rosen-berg, StPO 25. Aufl., § 274 Rn. 18).
b)
Soweit mit der Rechtsbeschwerde die Zurückweisung des Beweisantrags von Bl. 62 d.A. durch Beschluss des Gerichts in der Hauptverhandlung vom 23. April 2010 beanstandet wird, bezieht sie sich auf einen Hauptverhandlungstermin, aufgrund dessen das angefochtene Urteil nicht ergangen ist, da in diesem Termin die Hauptverhandlung ausgesetzt wurde und das Urteil allein auf der neuerlichen Hauptverhandlung vom 4. Juni 2010 beruht.
c)
Soweit man in dem gesamten Rechtsbeschwerdevorbringen auch eine Verfahrensrüge in Bezug auf die Zurückweisung des Beweisantrags von Bl. 62 d.A. im Hauptverhandlungstermin vom 4. Juni 2010 sehen könnte, wäre diese schon deshalb nicht begründet, weil eine Verletzung des förmlichen Beweisantragsrechts nach § 77 Abs. 2 OWiG voraussetzt, dass in der Hauptverhandlung überhaupt ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag gestellt worden ist (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 41 (42); BGH, Beschluss vom 29. April 2010 - 1 StR 644/09 - [...] Rn. 13; OLG Hamm, Beschluss vom 15. September 2009 - 3 Ss OWi 689/09 - [...] Rn. 9; Becker in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 244 Rn. 122). Dass ein solcher Beweisantrag im Hauptverhandlungstermin vom 4. Juni 2010 gestellt worden wäre, wird jedoch von der Rechtsbeschwerde nicht vorgetragen. Allein die Stellung von Beweisanträgen im Hauptverhandlungstermin vom 23. April 2010, der zur Aussetzung der Hauptverhandlung führte, reicht jedoch nicht aus, denn nach einer Aussetzung der Hauptverhandlung bedarf es der Wiederholung bereits früher gestellter Beweisanträge im neuen Hauptverhandlungstermin (vgl. RG St 2, 109; RG Rspr. 10, 599; BayObLG bei Rüth, DAR 1964, 242; Meyer-Goßner a.a.O., Rn 34; Becker in Löwe-Rosenberg a.a.O., Rn. 123; Frister in SK, StPO, Stand: Mai 2008, Rn. 63; jeweils zu § 244 StPO).
2.
Zwar kann in der mit der Rechtsbeschwerde erhobenen Rüge der fehlerhaften Ablehnung der Beweisanträge zugleich eine Aufklärungsrüge gesehen werden. Deren Erhebung in zulässiger Form unterstellt, kann die Rechtsbes...