Leitsatz (amtlich)
1. Eine Ausnahme von der seit dem 01.01.2022 bestehenden Verpflichtung der Rechtsanwälte, vorbereitende Schriftsätze nur noch als elektronisches Dokument bei Gericht einzureichen (§§ 130 a, 130 d ZPO), besteht gemäß § 130 d S. 2 ZPO nur dann, wenn dies aus technischen Gründen nicht möglich ist, weil entweder das Gericht auf diesem Wege nicht erreichbar ist oder bei dem Rechtsanwalt ein vorübergehendes technisches Problem aufgetreten ist.
2. Sieht sich der Rechtsanwalt aus gesundheitlichen Gründen (hier: ausstehendes Ergebnis eines PCR-Testes zum Ausschluss eines Coronaleidens) nicht in der Lage, seine Kanzleiräume aufzusuchen und den Schriftsatz dort elektronisch zu übermitteln, stellt dies keine vorübergehende Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung aus technischen Gründen dar.
3. Die technische Störung ist gemäß § 130 d S. 3 ZPO unmittelbar bei der Ersatzeinreichung auf herkömmlichen Wege oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; die Mitteilung von Gründen erst 20 Tage nach Einreichung des Originalschriftsatzes genügt diesen Anforderungen nicht.
4. Ein Grund für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 S. 1 ZPO wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist (§ 520 Abs. 2 ZPO) liegt nicht vor, wenn der Rechtsanwalt vor dem Fristablauf nicht alle ihm noch möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, wie etwa die Suche nach einem vertretungsbereiten Kollegen zur formwirksamen Einreichung der fertigen Berufungsbegründungsschrift.
Normenkette
ZPO §§ 130a, 130d, 233 S. 1, § 520 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 30.09.2021; Aktenzeichen 23 O 301/16) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der Zivilkammer 23 des Landgerichts Berlin vom 30. September 2021 wird auf seine Kosten unter Zurückweisung seines Wiedereinsetzungsantrages vom 7. Januar 2022 als unzulässig verworfen.
Der Streitwert wird auf bis zu 481.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger begehrt von der Beklagten Leistungen aus einem bestehenden Vertrag über eine Unfallversicherung. Er wendet sich gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts Berlin mit seiner Berufung und verfolgt sein Klagebegehren in vollem Umfang weiter.
Nach Zustellung des aus dem Tenor ersichtlichen Urteils an seinen Prozessbevollmächtigten am 4. Oktober 2021 (Bl. II/88 d. A.) hat dieser für den Kläger gegen das Urteil am 4. November 2021 mit per Telefax (Bl. II/106 d. A.) übermittelten Schriftsatz Berufung eingelegt. Am gleichen Tag ist auch der Originalschriftsatz bei Gericht eingegangen (Bl. II/108 d. A.).
Auf Antrag vom 29. November 2021 (Bl. II/113 d. A.) ist die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 4. Januar 2022 (Bl. II/115 d. A.) verlängert worden.
Am 4. Januar 2021 ist um 15.25 Uhr der Schriftsatz mit der Berufungsbegründung als Telefax beim Kammergericht eingegangen (Bl. II/130, 131 d. A.). Am gleichen Tag ist auch der Originalschriftsatz mit der Berufungsbegründung eingegangen (Bl. II/132 ff d. A.).
Der Kläger hat auf den Hinweis vom 7. Januar 2022 (Bl. II/154 d. A.) mit Schriftsatz vom 7. Januar 2022 (Bl. II/157 f.) vorgetragen, dass sich sein Prozessbevollmächtigter vom 26. Dezember 2021 bis zum 2. Januar 2022 im Weihnachtsurlaub in Österreich befunden habe. Dort sei der Prozessbevollmächtigte am 1. Januar 2022 erkrankt. Es seien eine leicht erhöhte Temperatur, Schnupfen, Gliederschmerzen und ein Kratzen im Hals aufgetreten. Diese Symptome seien erst am 6. Januar 2022 abgeklungen. Um ein Coronaleiden auszuschließen, habe der Prozessbevollmächtigte am 2. Januar 2022 einen Antigen-Schnelltest durchgeführt, der wiederholt kein eindeutiges Ergebnis gezeigt habe. Deshalb habe er am 3. Januar 2022 in P. eine PCR-Testung in Anspruch genommen, wobei ihm das Negativ-Testat am 6. Januar 2022 vorgelegen habe.
Die Berufungsbegründungsschrift habe der Prozessbevollmächtigte am 3. und 4. Januar 2022 zuhause in P. gefertigt, ausgedruckt und unterschrieben. Eine elektronische Versendung von zuhause aus sei nicht möglich gewesen, da die beA-Hardware und Software am Arbeitsplatz im Büro in Berlin installiert seien (Bl. II/157 d. A.). Auch ein Fax-Gerät habe dem Prozessbevollmächtigten zuhause nicht zur Verfügung gestanden. Die Berufungsbegründungsschrift sei daher am Nachmittag von einem Boten in das Büro des Prozessbevollmächtigten in Berlin gebracht worden, in dem er mit einer Steuerberatungs-GmbH in Bürogemeinschaft zusammenarbeite. Über den Faxanschluss der GmbH sei die Begründung an das Kammergericht versandt worden. Anschließend sei die Begründung in den Briefkasten des Justizboten in der Littenstraße beim Landgericht Berlin eingeworfen worden zur Versendung an das Kammergericht.
Auf den rechtlichen Hinweis vom 11. Januar 2022 (Bl. II/159 d. A.) hat der Kläger die Berufungsbegründung am 24. Januar 2022 als elektronisches Dokument übermittelt (Bl. II/164 d. A.) und vorgebracht, dass die Übermittlung als elektronisches Dokument am 4. Januar 2022 au...