Verfahrensgang

LG Berlin (Beschluss vom 06.01.1977; Aktenzeichen 83 T 450/76)

AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Aktenzeichen 61 IV 461/76)

 

Tenor

Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt 500 DM.

 

Gründe

Der Erblasser ist freiwillig aus dem Leben geschieden. In seiner Wohnung befand sich ein von ihm verfaßtes und an seine Tochter, die Beteiligte, gerichtetes eigenhändiges Schreiben, das von der Staatsanwaltschaft dem Amtsgericht zugeleitet worden ist. Das Amtsgericht hat dieses Schreiben als letztwillige Verfügung eröffnet. Den nach der Eröffnung gestellten Antrag der Beteiligten, ihr die Urschrift dieses Schreibens auszuhändigen, hat das Amtsgericht (Rechtspfleger) zurückgewiesen. Hiergegen hat sich die Beteiligte mit einer Eingabe gewandt, die der Amtsrichter als Erinnerung angesehen, der er nicht abgeholfen und die er dem Landgericht als Beschwerde zur Entscheidung vorgelegt hat. Das Landgericht hat die als Beschwerde geltende Erinnerung als unbegründet zurückgewiesen. Gegen diese Beschwerdeentscheidung richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten.

Die weitere Beschwerde ist zulässig (§§ 27, 29 FGG). Sachlich ist das Rechtsmittel indessen nicht begründet.

Verfahrensrechtlich einwandfrei haben der Amtsrichter und das Landgericht den gegen die Verfügung des Rechtspflegers (Ablehnung der Herausgabe der Urschrift) gerichteten Schriftsatz als Erinnerung angesehen. Hiergegen werden von der weiteren Beschwerde, die in Änderung der Entscheidungen der Vorinstanzen eine anderweite Entscheidung in der Sache durch das Rechtsbeschwerdegericht erstrebt, keine Einwände erhoben. Schon aufgrund dieses Verhaltens der Rechtsbeschwerdeführerin ist trotz des Umstandes, daß der betreffende Schriftsatz nicht ausdrücklich als „Erinnerung” bezeichnet worden ist, die Schlußfolgerung gerechtfertigt, die Beschwerdeführerin habe damit seinerzeit den Rechtsbehelf einlegen wollen und eingelegt.

Mit Recht haben die Vorinstanzen die Rückgabe der Urschrift des als Testament eröffneten Schriftstücke an die Beschwerdeführerin abgelehnt.

Rechtlich einwandfrei ist das Beschwerdegericht hierbei davon ausgegangen, daß das in Frage stehende Schriftstück der Ablieferungspflicht nach § 2259 BGB unterlag und nach § 2260 BGB – wie geschehen – zu eröffnen gewesen ist. Abzuliefern sind nach § 2259 BGB alle Schriftstücke, die sich inhaltlich und äußerlich als letztwillige Verfügungen darstellen, ohne Rücksicht auf ihre sachliche und förmliche Gültigkeit (vgl. dazu KGJ 27, 1186; Staudinger/Firsching, BGB, 10./11. Aufl., § 2259 Rdn. 4; Jansen, FGG, 2. Aufl., § 83 Rdn. 2; Palandt/Keidel, BGB, 36. Aufl., § 2259 Anm. 2). Es geht nicht an, dem Besitzer des betreffenden Schriftstücks die Entscheidung darüber zu überlassen, ob es die an ein Testament zu stellenden Anforderungen erfüllt und damit an das Nachlaßgericht abzuliefern ist (KG, JFG, 15, 92). Vielmehr ist bei der Auslegung der Norm, die eine Ablieferungspflicht statuiert, auf formalisierte Merkmale abzustellen, wobei es nicht darauf ankommen kann, ob das Testament im Erbscheinsverfahren als wirksam angesehen wird. Unter diesem Gesichtspunkt kann grundsätzlich auch ein Schriftstück der Ablieferungspflicht nach § 2259 BGB unterliegen, das in Form eines Briefes gehalten ist, weil letztwillige Verfügungen auch in dieser Form abgefaßt werden können (vgl. dazu OLG Frankfurt, OLGZ 1971, 205 – Rpfleger 1970, 392 mit weiteren Nachweisen; Palandt/Keidel, a.a.O., § 2247 Anm. 2 a). Ein in Briefform gehaltenes Schriftstück muß entsprechend dem Sinngehalt des § 2259 BGB jedenfalls dann als ablieferungspflichtig angesehen werden, wenn sein Inhalt Anordnungen enthält, die für sich betrachtet entsprechend dem Sinnzusammenhang und dem Sprachgebrauch als erbrechtliche Anordnungen für den Todesfall des Verfassers aufgefaßt werden können, mag das Schriftstück ausdrücklich oder sinngemäß als „Testament” gekennzeichnet sein oder nicht. Im vorliegenden Falle hat das Beschwerdegericht in dem betreffenden Schriftstück ohne Rechtsirrtum einen solchen erbrechtlichen Bezug gesehen. Der an die Beteiligte gerichtete Hinweis des Verfassers, wo sich sein „Geld” befindet, kann möglicherweise als erbrechtliche Zuwendung angesehen werden. Das gilt insbesondere auch für den Passus, die Beteiligte könne von einer Lebensversicherungsgesellschaft einen bestimmten Geldbetrag „beanspruchen”. Der Senat teilt ferner die Auffassung des Landgerichts, wonach der Hinweis des Erblassers in dem Schreiben auf ein „überholtes” Testament den erwähnten erbrechtlichen Bezug hat, weil darin möglicherweise der Widerruf einer früheren letztwilligen Verfügung gesehen werden könnte (§§ 2253, 2254 BGB). Für die Ablieferungspflicht nach § 2259 BGB kommt es nicht darauf an, ob der erbrechtliche Bezug, der nach der Wort- und Sinnauslegung des Schriftstücks denkbar ist, durch weitere Ermittlungen, etwa durch Ermittlung außertestamentarischer Umstände, bestätigt wird oder nicht. Denn es kann – wie dargelegt – nicht Aufgabe des...

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