Leitsatz (amtlich)
1. Für die Abgrenzung zwischen einem Werturteil von einer Tatsachenbehauptung kommt es entscheidend auf den Gesamtzusammenhang der Äußerung an. Ist eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Aussage nicht möglich, ohne dass dadurch ihr Sinn verfälscht wird, muss sie im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung und damit als Werturteil angesehen werden 2. Die polemische oder verletzende Formulierung einer Aussage entzieht diese grundsätzlich nicht dem Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit.
2. Eine Verurteilung nach § 185 StGB wegen einer Meinungsäußerung erfordert grundsätzlich eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch ihr Verbot andererseits.
3. Bei herabsetzenden Äußerungen, die sich bei Anlegung strenger Maßstäbe als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen oder die Menschenwürde eines anderen antasten, ist eine solche Abwägung ausnahmsweise entbehrlich.
4. Eine Äußerung nimmt den Charakter einer Schmähkritik erst an, wenn sie sich unter Berücksichtigung von Anlass und Kontext als bloße Herabsetzung des Angesprochenen darstellt und eines sachlichen Bezuges gänzlich entbehrt..
5. Ein besonders hohes Gewicht ist der Meinungsfreiheit beizumessen, wenn es um Kritik an staatlichen Einrichtungen oder Maßnahmen der öffentlichen Gewalt geht.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 15.08.2019; Aktenzeichen (578) 232 Js 4687/14 Ns (26/19)) |
Nachgehend
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 15. August 2019 wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Gründe
Die Ausführungen des Angeklagten in seinem Schreiben vom 29. Oktober 2019 geben zu einer abweichenden Beurteilung keinen Anlass. Ergänzend zur Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft Berlin bemerkt der Senat:
1. Zutreffend stuft das angefochtene Urteil die inkriminierten Äußerungen des Angeklagten sämtlich als Werturteile ein, die eine Missachtung oder Nichtachtung einer anderen Person zum Gegenstand haben und daher vom Tatbestand der Beleidigung nach § 185 Alt. 1 StGB erfasst sind (vgl. Fischer, StGB 66. Aufl., § 185 Rn. 8).
a) Entgegen dem Revisionsvorbringen handelt es sich insbesondere auch bei der Bezeichnung des Zeugen J. als "Parasit" (Fall 1 des Urteils) nicht um eine - gegenüber Dritten geäußerte und daher nur im Falle ihrer Nichterweislichkeit nach § 186 StGB strafbare - Tatsachenbehauptung. Zur Abgrenzung zwischen einem durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägten Werturteil von einer dem Beweis zugänglichen Tatsachenbehauptung kommt es entscheidend auf den Gesamtzusammenhang der Äußerung an (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Juni 2016 - 1 BvR 2732/15 -, juris Rn. 11 f.). Ist im Einzelfall eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Aussage nicht möglich, ohne dass dadurch ihr Sinn verfälscht wird, muss sie im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung und damit als Werturteil angesehen werden (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 11). Danach handelt es sich bei der Bezeichnung des Zeugen J. als "Parasit" um ein Werturteil. Der Angeklagte wirft dem Zeugen vor, dieser habe unter Vorspiegelung seiner Zahlungsfähigkeit Leistungen des Angeklagten als Rechtsanwalt in Anspruch genommen und ihn so um sein Honorar betrogen und sich auf seine Kosten bereichert. Damit bezieht er sich zwar auf ein tatsächliches Verhalten des Zeugen, welches er mit der Äußerung "Parasit" jedoch nicht lediglich darstellt, sondern in einer Weise bewertet, die dem Beweis nicht zugänglich ist (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 13, für die Bezeichnung eines Polizeibeamten, der den dortigen Angeklagten anlasslosen Kontrollen unterzogen hatte, als "Spanner"). Der wertende Charakter wird unterstrichen durch die weiteren damit im Zusammenhang stehenden Äußerungen des Angeklagten, mit denen er dem Zeugen das Lebensrecht und die personale Würde abspricht und die Verwertung seiner Organe zum Zwecke des Ausgleichs der Honorarforderung verlangt. Im Hinblick auf diese Äußerungen, auf die das Landgericht zutreffend den Schwerpunkt der strafrechtlichen Vorwerfbarkeit gelegt hat (vgl. unten 2.a)), geht auch der Angeklagte von einer Wertung aus. Bei der gebotenen Gesamtschau stellen sich seine Äußerungen insgesamt als Werturteile dar. Auf den von dem Angeklagten angebotenen Wahrheitsbeweis kommt es daher - ungeachtet der den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genügenden Aufklärungsrüge - von vornherein nicht an.
b) Nichts anderes gilt entgegen dem Revisionsvortrag auch hinsichtlich der Bezeichnung des Staatsanwalts E. als "Krimineller" beziehungsweise "Geistesgestörter", der "Gestapo-Methoden" anwende und dessen Hinrichtung geboten sei (Fälle ...