Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 24.06.2002; Aktenzeichen (511) 28 Js 10/94 KLs (30/99)) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 24. Juni 2002 dahin abgeändert, dass die Landeskasse Berlin die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen hat.
Die Landeskasse Berlin hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Beschwerdeführer insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten mit der Anklage vom 16. Dezember 1996 zur Last gelegt, in der Zeit von 1985 bis 1989 als Stellvertretender Generalstaatsanwalt der DDR in zwei Fällen Anstiftung zur Rechtsbeugung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung begangen zu haben. Die gegen ihn und weitere Anklagte am 3. November 1997 vor dem Landgericht begonnene Hauptverhandlung ist bezüglich des Angeklagten wegen seiner Erkrankung am 20. September 1999 nach 73 Verhandlungstagen ausgesetzt worden. Mit Beschluss vom 24. Juni 2002 hat das Landgericht das Verfahren gegen ihn wegen Verfolgungsverjährung eingestellt, die Kosten des Verfahrens der Landeskasse Berlin auferlegt, jedoch bestimmt, dass der Angeklagte seine notwendigen Auslagen selbst zu tragen hat. Die gegen diese Auslagenentscheidung gerichtete sofortige Beschwerde des Angeklagten hat Erfolg.
Im Falle der Einstellung des Verfahrens - wie hier nach § 206a StPO - sind die notwendigen Auslagen des Angeklagten gemäß §4 67 Abs. 1 StPO grundsätzlich der Staatskasse aufzuerlegen. Davon kann nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO ausnahmsweise dann abgesehen werden, wenn der Angeklagte wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.
Wann die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO vorliegen, wenn das Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung eingestellt wird, ist in der Rechtsprechung umstritten. Während teilweise ein hinreichender Tatverdacht (vgl.OLG Karlsruhe NStZ-RR 2003, 286; OLG Hamm NStZ-RR 2001, 126) für ausreichend erachtet wird, halten andere Gerichte diese Vorschrift dann für anwendbar, wenn ein erheblicher Tatverdacht besteht und keine Umstände erkennbar sind, die bei einer (gedachten) Fortführung der Hauptverhandlung die Verdichtung des Tatverdachts zur prozessordnungsgemäßen Feststellung der Tatschuld in Frage stellen würden (vgl. BGH NStZ 2 0 00, 330; OLG Frankfurt/Main NStZ-RR 2002, 246; KG (5. Senat), Beschluss vom 14. Januar 1998 - 5 Ws 11 und 12/98 -).
Demgegenüber hält der Senat an seiner Rechtsprechung fest, dass für eine Ermessensentscheidung nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO erst dann Raum ist, wenn die Hauptverhandlung bis zur Schuldspruchreife durchgeführt worden war (vgl. Beschluss vom 7. Dezember 1998 - 4 Ws 190/98 - und NJW 1994, 600). Er verkennt dabei nicht, dass auch die abweichenden Auffassungen mit der Unschuldsvermutung vereinbar und deshalb verfassungsrechtlich unbedenklich sind, sofern keine Schuldzuweisung getroffen wird (vgl. BVerfG NJW 1992, 1612). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO, die eine Ermessensentscheidung überhaupt erst eröffnen, liegen allerdings nur dann vor, wenn das festgestellte Verfahrenshindernis der alleinige Grund ist, der einer Verurteilung des Angeklagten entgegensteht (vgl. LR-Hilger, StPO, 25.Aufl., Rdn. 53 zu § 4 67). Die Ausnahmevorschrift ist also nur anwendbar, wenn das Gericht nach seiner Überzeugung beim Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses mit Sicherheit zu einem Schuldspruch gekommen wäre (vgl. etwa BGH NStZ 1995, 406; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997, 288; OLG Hamm NStZ-RR 1997, 127). Das bedeutet, dass sich der Tatrichter die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit von der Schuld des Angeklagten verschafft haben muss. Ohne einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung ist das nur möglich, wenn die Schuld des Angeklagten in einem mit rechtsstaatlichen Verteidigungsgarantien ausgestatteten und bis zum prozessordnungsgemäßen Abschluss durchgeführten Verfahren nachgewiesen ist (vgl. BVerfG a.a.O.). Dieses Verfahrensstadium ist erst erreicht, wenn der Angeklagte das letzte Wort hatte (vgl. BVerfG NJW 1990, 2741 und 1987, 2427) . Wird hingegen die Anwendbarkeit des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO lediglich von einer Tatverdachtsprüfung und hypothetischen Erwägungen über einen weiteren Prozessverlauf abhängig gemacht, trägt der Angeklagte unter Umständen schon dann das Risiko einer Auslagenüberbürdung, wenn er sein prozessuales Schweigerecht wahrnimmt, an das aber - wie auch § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StPO zeigt - keine für ihn nachteilige Kostenfolgen geknüpft werden dürfen. Die Bewertung, ob die Tatschuld bei einer Fortführung der Hauptverhandlung hätte festgestellt und damit die Unschuldvermutung hätte widerlegt werden können, ist allenfalls in Ausnahmefällen - etwa bei einfach gelagerten Sachverhalten oder einem Geständnis des Angeklagten - möglich. In umfangreicheren Sachen verbietet sich eine derartige Prognose deshalb, weil in der Regel ni...