Entscheidungsstichwort (Thema)
Auskunftsanspruch eines Elternteils: Auskunftserteilung über eine psychiatrische Behandlung bei Ablehnung durch ein 16 1/2 Jahre altes Kind
Leitsatz (amtlich)
1. Zum Umfang des Auskunftsanspruchs nach § 1686 BGB.
2. Mit Eintritt der Volljährigkeit des Kindes ist der betreuende Elternteil für den Auskunftsanspruch nicht mehr passiv legitimiert.
3. Im Beschwerdeverfahren nach § 58 FamFG können keine neuen Anträge gestellt werden, durch die der Verfahrensgegenstand zu einem anderen gemacht wird, als er Gegenstand der erstinstanzlichen Entscheidung war.
Normenkette
BGB § 1686; FamFG § 58
Verfahrensgang
AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Beschluss vom 29.06.2010; Aktenzeichen 146 F 5462/10) |
Tenor
Die Beschwerde des Vaters gegen den Beschluss des AG Tempelhof-Kreuzberg vom 29.6.2010 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Vater nach einem Wert von 3000 EUR zu tragen.
Gründe
Die gem. § 58 FamFG zulässige Beschwerde des Vaters hat in der Sache keinen Erfolg. Das AG hat mit Recht den Antrag des Vaters auf Benennung der Psychotherapeutin, die bis 2007 A. behandelt hat, sowie den Antrag auf Entbindung von der Schweigepflicht zurückgewiesen.
Gemäß § 1686 BGB kann jeder Elternteil von dem anderen Elternteil bei berechtigtem Interesse Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Kindes verlangen, soweit dies dem Wohl des Kindes nicht widerspricht. Diese Voraussetzungen hat das AG mit Recht nicht als gegeben erachtet. Es kann offen bleiben, ob gem. § 1686 BGB überhaupt eine Verpflichtung besteht, den das Kind behandelnden Arzt oder Psychotherapeuten von der Schweigepflicht ggü. dem nicht sorgeberechtigten Elternteil zu entbinden (verneinend z.B. OLG Schleswig, SchlHA 1978, 115; OLG Bremen OLGReport Bremen 1999, 86; Oelkers NJW 1995, 1335). Auch wenn man dies annehmen würde, bestünde ein Anspruch des Vaters nicht.
Es kann ebenfalls offen bleiben, ob der Vater ein berechtigtes Interesse an Informationen über die mehr als zwei Jahre zurückliegende Behandlung seines Sohnes hat. Die Erteilung einer Auskunft über die Behandlung und ihrer Dauer sowie eine Befreiung der Psychotherapeutin von der Schweigepflicht würden dem Kindeswohl widersprechen. A. ist nicht damit einverstanden, dass sein Vater Informationen über seine psychotherapeutische Behandlung erhält. Dies hat er ggü. dem Jugendamt erklärt. Diese Einstellung steht auch in Übereinstimmung mit dem gestörten Verhältnis zwischen Vater und Sohn. Die Mutter kann nicht dazu verpflichtet werden, sich über diesen Willen hinwegzusetzen.
A. ist 16 ½ Jahre alt und daher in einem Alter, in dem seinem Willen erhebliche Bedeutung zukommt. Maßgebend ist das gegenwärtige Alter von A., da es um die von ihm aktuell getroffene Entscheidung geht. Die wachsende Reife und Selbstbestimmungsfähigkeit des Heranwachsenden führt im Bereich seiner geschützten Privat- und Intimsphäre dazu, dass die elterliche Sorge sich in ihrer Funktion wandelt und mehr und mehr zurückweicht (so zutreffend OLG Hamm FamRZ 1995, 1288). So ist z.B. anerkannt, dass die Ablehnung eines Umgangs durch ein Kind dieses Alters grundsätzlich der Anordnung des Umgangs entgegensteht (vgl. z.B. OLG Hamburg FamRZ 2008, 1372; MünchKomm/Finger, 5. Aufl., § 1684 BGB Rz. 44; Schneider in Rahm/
Künkel Hdb. des Familiengerichtsverfahrens, III B 637). Mindestens eine gleich starke Bedeutung ist dem Willen des Kindes beizumessen, wenn es um den engsten persönlichen Bereich geht, wozu eine psychotherapeutische Behandlung gehört (ebenso OLG Hamm FamRZ 1995, 1288; MünchKomm/Finger, 5. Aufl., § 1684 BGB Rz. 9; Staudinger/Rauscher, Bearbeitung 2006, § 1684 BGB Rz. 11; Oelkers NJW 1995, 1335). In dieser kommen regelmäßig intime Gefühle, Sachverhalte usw. zur Sprache, an deren Geheimhaltung ein erhebliches Interesse des Patienten besteht.
Die Ablehnung durch das Kind ist (nur) beachtlich, wenn seiner Haltung ein selbständiges Urteil zugrunde liegt, das vernünftig und gewichtet ist (vgl. z.B. MünchKomm/Finger, 5. Aufl., § 1684 BGB Rz. 44; Schneider in Rahm/Künkel Hdb. des Familiengerichtsverfahrens, III B 637). Das ist hier der Fall. Der Wille von A. zu verhindern, dass sein Vater die o.g. Kenntnisse über ihn erhält, ist angesichts des langjährig gestörten Verhältnisses zwischen ihnen als beachtlich anzuerkennen.
Für den Antrag auf (isolierte) Benennung von Namen und Anschrift der Psychotherapeutin fehlt es an einem berechtigten Interesse des Vaters i.S.v. § 1686 BGB, da die Behandlung von A. seit längerem abgeschlossen ist. Die Psychotherapeutin ist ohne das erforderliche Einverständnis zur Erteilung von Auskünften über die Behandlung und ihre Dauer nicht berechtigt. Neben Diagnose und Therapie der Erkrankung unterliegt auch die Dauer der Behandlung der Schweigepflicht. Auch dabei handelt es sich um ein Privatgeheimnis, dessen unbefugte Offenbarung gegen § 203 Abs. 1 Nr. 2 StGB verstößt. Geheimnisse im Sinne dieser Vorschrift sind Tatsachen, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt sind und an dere...