Leitsatz (amtlich)
1. Der am 5. August 2009 in Kraft getretene § 15a RVG beinhaltete eine Gesetzesänderung im Sinn des § 60 Abs. 1 RVG und ist daher auf "Altfälle" nicht anwendbar, so dass es hinsichtlich der Anrechnungsregelung bei der bisherigen Rechtslage verbleibt (entgegen BGH, Beschluss vom 2. September 2009, II ZB 35/07).
Den Gesetzesmaterialien lässt sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber die bisher bestehende Anrechnungsregelung lediglich klarstellend korrigieren wollte. Dabei erscheint es zumindest zweifelhaft, ob der Gesetzgeber nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung überhaupt befugt ist, unmittelbar in die Auslegung von Gesetzen einzugreifen und vielmehr nicht darauf beschränkt ist, erforderlichenfalls das Gesetz zu ändern. Jedenfalls gebietet es der Grundsatz der zu gewährleistenden Rechtssicherheit, dass eine gewollte Rückwirkung der Änderung ausdrücklich zum Ausdruck gebracht wird. Anderenfalls bleibt es bei der Regelung des § 60 Abs. 1 RVG.
2. Im Kostenfestsetzungsverfahren kann nicht überprüft werden, ob die einem Rechtsanwalt aus der Staatskasse gezahlte Vergütung hinsichtlich der Anrechnung der vorprozessualen Geschäftsgebühr zutreffend berechnet worden ist.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 21.04.2009; Aktenzeichen 5 O 509/06) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Zivilkammer 5 des Landgerichts Berlin vom 21. April 2009 geändert:
Die nach dem Beschluss des Landgerichts Berlin vom 21. Januar 2009 von der Beklagten an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin gemäß § 126 ZPO zu erstattenden Kosten werden auf
407,93 €
nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. Januar 2009 festgesetzt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin bei einem Wert von 437,80 € zu tragen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin, vertreten durch den Antragsteller, nahm die Beklagte im Wege der Stufenklage in einer Erbschaftsangelegenheit in Anspruch. Das Landgericht Berlin bewilligte der Klägerin für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe. Nachdem die Parteien sich in der Hauptsache umfassend verglichen hatten, auferlegte das Landgericht Berlin mit Beschluss vom 21. Januar 2009 der Beklagten gemäß § 91a ZPO die Kosten des Rechtsstreits einschließlich des Vergleichs.
Auf den Antrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 27. Januar 2009 hat das Landgericht die diesem von der Beklagten zu erstattenden Kosten auf insgesamt 845,73 € festgesetzt, wobei es eine von der Landeskasse zu zahlende Vergütung in Höhe von 891,31 € verrechnet hat. Eine unstreitig bei dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin entstandene vorprozessuale Geschäftsgebühr wurde dabei weder bei der Kostenfestsetzung noch bei der Berechnung der Prozesskostenhilfevergütung angerechnet. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten.
II. Die sofortige Beschwerde ist nach § 104 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 11 Abs. 1 RPflG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Das Rechtsmittel hat hinsichtlich des hier angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschlusses Erfolg, denn die vom Kläger in Ansatz gebrachte Verfahrensgebühr nach Nummer 3100 VV RVG war anteilig um die Hälfte der bereits vorprozessual entstandenen Geschäftsgebühr nach Nummer 2300 VV RVG zu kürzen.
1. Zur Frage der Auslegung der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG folgt der Senat in ständiger Praxis (vgl. Senat, JurBüro 2009, 78) der Rechtsprechung des 8. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes (BGH, Beschluss vom 22. Januar 2008 - VIII ZB 57/07 -, NJW 2008, 1323), der sich der 4. Zivilsenat (Beschluss vom 25. Juli 2008 - IV ZB 16/08 - RVGreport 2008, 467 und auch der 7. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 25. September 2008 - VII ZB 93/07 -, RVGreport 2008, 468) angeschlossen haben. Danach ist die Vorschrift Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG so zu verstehen, dass eine entstandene Geschäftsgebühr unter der Voraussetzung, dass es sich um denselben Gegenstand handelt, teilweise auf die spätere Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen ist. Durch diese Anrechnung verringert sich die erst später nach Nr. 3100 VV RVG angefallene Verfahrensgebühr, während die zuvor bereits entstandene Geschäftsgebühr von der Anrechnung unangetastet bleibt. Dieses folgt unmittelbar aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Anrechnungsvorschrift. Dabei ist es gleichgültig, ob die Geschäftsgebühr unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder sogar schon beglichen ist. Insbesondere ist es für die Anrechnung ohne Bedeutung, ob die Geschäftsgebühr auf materiell-rechtlicher Grundlage vom Prozessgegner zu erstatten ist. Die Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG ist dabei unmittelbar im Kostenfestsetzungsverfahren zu beachten und anzuwenden. Nach dem Grundgedanken der Anrechnungsvorschrift ist dafür entscheidend, dass die vom Rechtsanwalt geleistete Vorarbeit im anschließenden Gerichtsverfahren verwertet wird (vgl. zu allem: BGH, Beschluss vom 22. Januar 2008 - VII...