Leitsatz (amtlich)
Kommt es in unmittelbarem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Linksabbiegen zu einer Kollision mit einem links überholenden Fahrzeug, spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Linksabbiegers).
Der Fahrtrichtungsanzeiger ist dann "rechtzeitig" i.S.d. § 9 Abs. 1 S. 1 StVO betätigt, wenn sich der Verkehr auf das Abbiegen einstellen kann: maßgeblich dafür ist weniger die Entfernung vom Abbiegepunkt als vielmehr die Zeit zwischen Anzeigebeginn und Abbiegen unter Berücksichtigung der Fahrgeschwindigkeit.
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 16.12.2003; Aktenzeichen 24 O 252/01) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers, die im Übrigen zurückgewiesen wird, wird das am 16.12.2003 verkündete Urteil der Zivilkammer 24 des LG Berlin - 24 O 252/1 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 907,46 EUR nebst 4 % Zinsen seit dem 1.1.2000 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Berufung des Klägers ist teilweise begründet.
1. Dem Grunde nach ist der Beklagte dem Kläger gem. §§ 7 Abs. 1, 18 StVG i.V.m. § 2 Pflichtversicherungsgesetz zum Ersatz aller Schäden verpflichtet, die ihm aufgrund des Verkehrsunfalls vom 30.9.2000 auf der in Berlin gelegenen R.-Allee in Höhe M.-weg entstanden sind.
a) Die Aktivlegitimation des Klägers folgt aus § 1006 BGB. Da der Kläger zum Unfallzeitpunkt unstreitig Fahrer des bei dem Unfall beschädigten Kleinkraftrades Kymco mit dem Kennzeichen war, und es mithin in seinem Besitz hatte, spricht die Vermutung dafür, dass er Eigentümer war (§ 1006 Abs. 1 S. 1 BGB). Diese Vermutung hat der Beklagte nicht widerlegt.
b) aa) Da sich der Unfall unstreitig im örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Versuch der Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs, der Zeugin O.-G. ereignet hat, aus der Rominter Allee nach links in den Morellenweg einzubiegen, spricht gegen sie der Anschein, den Unfall dadurch verschuldet zu haben, dass sie die besonderen Sorgfaltspflicht nach § 9 Abs. 1 StVO nicht beachtet hat. Danach hatte sie nicht nur rechtzeitig den linken Fahrtrichtungsanzeiger zu setzen (§ 9 Abs. 1 S. 1 StVO), sondern sie musste sich rechtzeitig möglichst weit nach links zur Straßenmitte einordnen (§ 9 Abs. 1 S. 2 StVO) und vor dem Einordnen einmal und vor dem Abbiegen noch einmal auf nachfolgenden Verkehr achten (§ 9 Abs. 1 S. 4 StVO). Im Rahmen des § 9 Abs. 1 StVO spricht der Beweis des ersten Anscheins gegen den nach links abbiegenden Kraftfahrer. Kommt es zwischen ihm und einem überholenden Fahrzeug zum Unfall, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der nach links abbiegende Kraftfahrer die ihm nach § 9 Abs. 1 StVO obliegende Sorgfaltspflicht verletzt hat (KG VM 1993, 159; Urt. v. 13.1.1997 - 12 U 7147/95). Der Beklagte trägt selbst nicht vor, die Zeugin O.-G. habe ihre Absicht, nach links abzubiegen, rechtzeitig angekündigt. Rechtzeitig ist das Zeichen, wenn sich der Verkehr auf das Abbiegen einstellen kann. Dafür ist weniger die Entfernung zum Abbiegepunkt maßgebend, als vielmehr die Zeit zwischen Anzeigebeginn und Abbiegen unter Berücksichtigung der Fahrtgeschwindigkeit (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl., § 9 StVO Rz. 20, m.w.N.). Bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 30 km/h reichen nach der Rechtsprechung des BGH 5 sec. vor dem Abbiegen aus (BGH VRS 25, 264). Hier hat der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte nicht konkret vorgetragen, wie lange vor dem Abbiegevorgang die Zeugin O.-G. den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt hat. Die Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs hat bei ihrer Vernehmung durch das LG bekundet, sie habe "den linken Fahrtrichtungsanzeiger erst kurz, sehr kurz vor dem Unfall eingeschaltet". Darüber hinaus muss davon ausgegangen werden, dass die Zeugin O.-G. ihrer Verpflichtung zur zweiten Rückschau nicht nachgekommen ist. Anderenfalls hätte sie das sich von hinten nähernde Kleinkraftrad des Klägers wahrnehmen müssen. Gerade wenn der Kläger, wie der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vom 6.12.2004 geltend gemacht hat, vor Erreichen der Unfallstelle an mehreren hintereinander fahrenden Polizeifahrzeugen vorbeifahren musste, bevor er die Unfallstelle erreichte, muss er für die Zeugin O.-G. entsprechend längere Zeit sichtbar gewesen sein.
bb) Demgegenüber lässt sich ein Mitverschulden des Klägers an dem Unfall nicht feststellen. Insbesondere lässt sich ein Mitverschulden des Klägers nicht damit begründen, dieser habe entgegen § 5 StVO trotz Bestehens einer unklaren Verkehrslage überholt. Wie bereits ausgeführt, hat der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte weder konkret vorgetragen, noch unter Beweis gestellt, dass die Zeugin O.-G. ihre Absicht, nach links abzubiegen, so rechtzeitig angekündigt hätte, dass der Kläger sich hierauf hätte einrichten können. Die vom LG in seinem Hinweis vom 21.12.2001 zitierte ...