Entscheidungsstichwort (Thema)

Verzicht auf Vorfahrt

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Wartepflichtige darf einen Verzicht auf das Vorfahrtsrecht nur dann annehmen, wenn der Bevorrechtigte dies unmissverständlich angezeigt hat (vgl. schon KG DAR 1973, 157).

2. Dies ist nicht schon dann der Fall, wenn ein bevorrechtigter Lkw verkehrsbedingt vor der Einmündung einer untergeordneten Straße anhält.

3. Biegt ein Pkw nach rechts unmittelbar vor einen in der bevorrechtigten Straße verkehrsbedingt wartenden Lkw ein und kann der Pkw-Fahrer nicht sicher sein, dass der Lkw-Fahrer ihn wahrgenommen hat, kommt im Falle der Kollision des anfahrenden Lkw mit dem Pkw eine Mithaftung des Lkw-Fahrers jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn der Pkw-Fahrer nicht durch geeignete Maßnahmen (Hupen o.Ä.) auf sich aufmerksam gemacht hat.

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Mitte (Urteil vom 14.06.2002; Aktenzeichen 109 C 3568/00)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 14.6.2002 verkündete Urteil der Abteilung 109 des AG Mitte - 109 C 3568/00 - abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

Die nach gewährter Wiedereinsetzung zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Ersatz des geltend gemachten Schadens aus §§ 18 StVG, 3 Nr. 1, 2 PflVG, 249 ff. BGB.

Die Beklagten haften für den Unfallschaden weder aufgrund eines Verschuldens des Fahrers des Lkw (des Beklagten zu 1) noch aufgrund der Betriebsgefahr dieses Fahrzeuges, selbst wenn man zugunsten des Klägers unterstellt, dass der Unfall für den Fahrer des Lkw nicht unabwendbar i.S.v. § 7 Abs. 2 StVG war. Denn der Sohn des Klägers, der Zeuge S., hat den Unfall so überwiegend verschuldet, dass demgegenüber eine etwa zu berücksichtigende Betriebsgefahr des Lkw oder ein Verschulden des Beklagten zu 1) völlig zurücktritt.

Kommt es im Bereich einer Einmündung oder Kreuzung mit einer Vorfahrtstraße zu einem Verkehrsunfall, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Wartepflichtigen. Die Kollision ereignete sich in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Abbiegemanöver des wartepflichtigen Zeugen S. aus der P.-Straße in den bevorrechtigten M.-Damm, wobei das Ende der P.-Straße mit einem Stoppschild (Zeichen 206 der Anlage zur StVO) markiert war. Ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Abbiegemanöver liegt vor, da der Zeuge S. sich mit seinem Fahrzeug noch im Kreuzungsbereich befand und er sich noch nicht vollständig in die auf dem M.-Damm stehende Fahrzeugschlange eingereiht hatte. Vielmehr stand er - dies ergibt sich sowohl aus den Bekundungen des Zeugen M.S. als auch aus dem Schadensbild - schräg zu diesen Fahrzeugen.

Den somit für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Zeugen S. sprechenden Anscheinsbeweis hat der Kläger nicht entkräftet. Entgegen der Ansicht des AG in dem angefochtenen Urteil kommt es für die Entscheidung des vorliegenden Falles nicht entscheidend darauf an, ob das klägerische Fahrzeug bereits eine gewisse Zeit vor dem Lkw gestanden hat. Die Klage ist auch dann in vollem Umfang abzuweisen, wenn die vom Kläger gegebene Sachverhaltsschilderung zutrifft. Der Zeuge S. hätte nämlich nur dann in die Vorfahrtsstraße einfahren dürfen, wenn der Lkw-Fahrer auf sein Vorfahrtsrecht verzichtet hätte. Einen solchen Verzicht darf der Wartepflichtige nur annehmen, wenn der Berechtigte dies unmissverständlich anzeigt (KG DAR 1973, 157). An den Nachweis eines Vorfahrtsverzichtes sind strenge Anforderungen zu stellen, die Beteiligten müssen sich nachweisbar verständigt haben. Solches hat der Kläger nicht vorgetragen, vielmehr ergibt sich aus dem Vortrag des Klägers und der Aussage des Zeugen S., dass dieser vor dem Lkw in die Vorfahrtsstraße eingefahren ist, obwohl ihm aufgefallen war, dass der Beklagte zu 1) ihn nicht bemerkt hatte. Ein solches Verhalten ist das Gegenteil einer Verständigung.

Eine Mithaft der Beklagten scheidet vorliegend aus. Zwar könnte sich eine Haftung der Beklagten grundsätzlich daraus ergeben, dass der Beklagte zu 1) damit hätte rechnen müssen, dass sein Anhalten vor der Einmündung als Vorfahrtsverzicht missdeutet werden könnte. Hier ist aber zu berücksichtigen, dass dem Zeugen S. nach seiner eigenen Aussage vor dem AG während des gesamten Vorgangs bewusst war, dass der Beklagte zu 1) ihn nicht wahrnahm. Trotz dieses Bewusstseins hat er erst durch Hupen auf sich aufmerksam gemacht, nachdem der Beklagte zu 1) bereits angefahren war. Der Zeuge S. wäre aber verpflichtet gewesen, möglichst frühzeitig auf die von ihm selbst geschaffene Gefahrensituation aufmerksam zu machen. Durch rechtzeitiges Hupen hätte der Unfall verhindert werden können. Angesichts dieses besonders schwer wiegenden Verschuldens des Zeugen S. hat der Kläger den ihm bei dem Unfall entstandenen Schaden in vollem Umfang selbst zu tragen.

Die Revision war nicht zuzulassen, da weder die Sache grundsätzliche Bedeutung hat noch eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Rechtsfortb...

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