Normenkette
StVO § 4 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 24 O 628/99) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 15.9.2000 verkündete Urteil des LG Berlin – 24 O 628/99 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 2.530,88 Euro (= 4.948,98 DM) nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatz-Überleitungs-Gesetzes vom 9.6.1998 (BGBl. I S. 1242) seit dem 5.4.2000 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des ersten Rechtszuges haben der Kläger 2/3 und die Beklagten 1/3 zu tragen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Berufung ist in vollem Umfang begründet und führt zur beantragten Abänderung des angefochtenen Urteils.
A. Eine über eine Quote von einem Drittel hinausgehende Haftung der Beklagten für Schäden des Klägers aus dem Unfall vom 17.5.1999 ist nicht gerechtfertigt.
I. 1. War – wie hier – ein Unfall für keinen der Beteiligten ein unvermeidbares Ereignis i.S.d. § 7 Abs. 2 StVG, bestimmt sich die Haftung nach den beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteilen, §§ 17, 18, 9 StVG i.V.m. §§ 823, 254 BGB. Hierbei werden allerdings nur Umstände berücksichtigt, die sich tatsächlich unfallursächlich ausgewirkt haben.
2. Zutreffend ist das LG davon ausgegangen, dass grundsätzlich derjenige voll haftet, der Schäden dadurch verursacht, dass er mit seinem Fahrzeug auf ein vor ihm fahrendes Fahrzeug auffährt: Ihn trifft der Vorwurf, entweder zu schnell, mit zu geringem Sicherheitsabstand oder unaufmerksam gefahren zu sein (gem. §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 S. 1, 1 Abs. 2 StVO). Diese Haftung kann durch ein Mitverschulden des Vorausfahrenden gemindert werden, wobei – wie das LG gleichfalls zutreffend dargestellt hat – die Höhe der Mithaftung im Einzelfall davon abhängt, durch welchen Verkehrsverstoß er zum Unfall beigetragen hat und wie dieser Verstoß im Verhältnis zu demjenigen des Auffahrenden zu bewerten ist. Bei einem unverhofft starken Bremsen des Vorausfahrenden ohne zwingenden Grund überwiegt aber i.d.R. der Haftungsanteil des Auffahrenden (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl. 2001, § 4 StVO, Rz. 17 m.w.N.).
II. Die Bewertung der Haftungsanteile ergibt im vorliegenden Fall, dass entgegen der Auffassung des LG die Verkehrsverstöße beider Parteien nicht gleich wiegen, sondern dass derjenige des Klägers doppelt so hoch ist wie der der Beklagten mit der Folge, dass er nur ein Drittel seiner Schäden ersetzt verlangen kann.
1. Der Beklagten zu 2) ist anzulasten, dass sie entgegen § 9 Abs. 1 StVO ihre Absicht, aus der G.allee nach links in die B.straße einzubiegen, nicht durch rechtzeitiges Betätigen des Blinkers angezeigt hat. In der Berufungsbegründung haben die Beklagten eingeräumt, es sei nicht gelungen, zu beweisen, dass die Beklagte zu 2) vor dem Anhalten den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt habe (Bl. 103 d.A.).
Ferner haben die Beklagten eine „heftigere” Bremsung zugestanden (Bl. 103 d.A.). Dieses findet eine Bestätigung in den Aussagen der Zeugin B., die als Beifahrerin im Beklagtenfahrzeug saß und die bekundet hat, die Beklagte zu 2) habe „ziemlich heftig gebremst” (Bl. 74 d.A.). Der im Klägerfahrzeug mitfahrende Zeuge K. hat davon berichtet, das Beklagtenfahrzeug habe „plötzlich” eine Vollbremsung eingeleitet (Bl. 72 d.A.; dem entspricht seine Angabe vor der Polizei, Bl. 10 R. der BA); die obergerichtliche Rechtsprechung qualifiziert „plötzliches” Abbremsen dann als „starkes” Abbremsen i.S.d. § 4 Abs. 1 S. 2 StVO, wenn es deutlich über das Maß des „normalen” Bremsvorganges hinausgeht (vgl. KG, NZV 1993, 478 [479]). Das war hier der Fall.
Damit hat die Beklagte zu 2) für den nachfolgenden Verkehr eine gefährliche Situation geschaffen, weil dieser mangels rechtzeitigen Blinksignals keine konkrete Veranlassung hatte, sich auf das Bremsmanöver ihres vorausfahrenden Fahrzeuges einzustellen. Ein zwingender Grund zum starken Bremsen i.S.d. § 4 Abs. 1 S. 2 StVO bestand nicht (Abbiegeabsicht genügt ebenso wenig wie eine plötzlich erkannte Parklücke oder ein zu spät erkannter Taxifahrgast, Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl. 2001, § 4 StVO, Rz. 11).
2. Der Verschuldens- und Verursachungsanteil des Klägers überwiegt jedoch dieses unfallursächliche Fehlverhalten der Beklagten zu 2).
a) § 4 Abs. 1 StVO verlangt, den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug i.d.R. so zu bemessen, dass auch dann hinter ihm gehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird. Ein nachfolgender Fahrer muss damit rechnen, dass der Vorausfahrende sein Fahrzeug aus Gründen, die dieser nicht zu vertreten hat (etwa Fehler anderer Verkehrsteilnehmer, Hindernisse auf der Fahrbahn), plötzlich zum Stillstand bringt. Dies fordert von ihm besondere Aufmerksamkeit, um auch zufällige Gefahren unfallvermeidend abwenden zu können. Diese Handlungspflicht wiegt schwerer als starkes Bremsen ohne zureichenden Grund.
Treffen starkes Bremsen oh...