Leitsatz (amtlich)
1. Die Höhe des Schmerzensgeldes bemisst sich ausschließlich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls, Entscheidungen in vergleichbaren Fällen können allenfalls Anhaltspunkte zur Ermittlung der Größenordnung vermitteln.
2. Bei der Schmerzensgeldbemessung sind - noch - vorhandene emotionale Fähigkeiten zu berücksichtigen, auch eine etwaige Erinnerung an den früheren Zustand einer Geschädigten.
3. Das Alter der Geschädigten im Zeitpunkt des Schadensereignisses und die Möglichkeit, dass eine - wenn auch rudimentäre - Erinnerung besteht, rechtfertigen ein höheres Schmerzensgeld, hier etwa 650.000,- EUR (500.000,- EUR Schmerzensgeldbetrag, 650,- EUR monatliche Schmerzensgeldrente).
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 15.06.2010; Aktenzeichen 35 O 8/08) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 15.6.2010 verkündete Urteil des LG Berlin - 35 O 8/08 - teilweise wie folgt geändert:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin einen weiteren Betrag i.H.v. 300.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.12.2007 als Schmerzensgeld zu zahlen, die Schmerzensgeldrente entsprechend Ziff. 2. des Urteils des LG ab dem 31.1.2008 (Rechtshängigkeit).
Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Beklagten als Gesamtschuldner zu 90 % und der Beklagte zu 2. zu 10 % allein.
Die Beklagten haben die Kosten des Berufungsrechtszuges zu tragen; die Kosten der Streithilfe trägt der Streithelfer selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, ebenso das angefochtene Urteil.
Den Beklagten wird gestattet, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Tatsächliche Feststellungen
A. Die damals ca. 4 ½-jährige Klägerin brach sich am 12.12.2002 bei einem Sturz den linken Arm.
Bei der noch am gleichen Tage erfolgten Operation der sehr erregten und verängstigten Klägerin zur Reposition und eventuellen Fixation des Bruches in der Einrichtung der Beklagten zu 1. durch den Beklagten zu 2. kam es nach der Narkotisierung mittels Maske bei der Klägerin zu einer Schaukelatmung; CO2 in der Ausatmung konnte nicht nachgewiesen werden, es wurde eine Lippenzyanose festgestellt. Wegen des weiteren Verlaufs wird auf Seite 4 des Urteils des LG Bezug genommen.
Am 15.12.2002 wurde bei der Klägerin ein diskretes Hirnödem festgestellt, das im weiteren Verlauf zunahm; der Hirndruck stieg trotz entsprechender Maßnahmen weiter an und sank erst ab dem 20.12.2002.
Die Klägerin (zu 100 % schwerbeschädigt, Pflegestufe III) leidet aufgrund eines schweren Hirnschadens an einem apallischen Syndrom mit erheblichen Ausfallerscheinungen der Großhirnfunktion und einer Tetraspastik (Spastik an allen vier Gliedmaßen). Sie wird über eine PEG-Sonde ernährt und ist auf ständige Pflege angewiesen.
Die Haftpflichtversicherung der Beklagten zahlte an die Klägerin einen Betrag i.H.v. 100.000 EUR als "Vorschussleistung."
Die Klägerin hat in der ersten Instanz sinngemäß beantragt, die Beklagten zur Zahlung von 500.000 EUR Schmerzensgeld, Zinsen seit dem 1.10.2003 27.498,56 EUR Schadensersatz nebst Rechtshängigkeitszinsen 500 EUR monatliche Schmerzensgeldrente zu verurteilen, sowie festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche weiteren zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen.
Widerklagend hat der Beklagte zu 2. sinngemäß beantragt, die Klägerin zur Rückzahlung der 100.000 EUR nebst Zinsen an die Haftpflichtversicherung zu verurteilen.
Die Klägerin hat den Beklagten (grobe) Behandlungsfehler und Aufklärungsfehler vorgeworfen; die Beklagten sind den Vorwürfen in der 1. Instanz entgegen getreten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivortrages wird auf den Tatbestand des Urteils des LG Bezug genommen.
Das LG hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens und eines Ergänzungsgutachtens des Sachverständigen Dr. med. J...S.sowie durch Vernehmung des Sachverständigen im Termin am 20.4.2010. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten vom 17.5.2009, die ergänzende Stellungnahme vom 21.1.2010 und das Sitzungsprotokoll vom 20.4.2010 Bezug genommen.
B. Das LG der Klägerin zugesprochen:
100.000 EUR Schmerzensgeld und Zinsen hieraus seit dem 17.12.2007
650 EUR monatliche Schmerzensgeldrente
27.498,56 EUR Schadensersatz und Zinsen seit dem ab 5.2.2008
Ferner hat das LG festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche materielle Schäden aus dem Schadensereignis zu ersetzen, des Weiteren hat es die Widerklage des Beklagten zu 2. abgewiesen.
Dem Beklagten zu 2. seien mehrere, zum Teil schwere Behandlungsfehler unterlaufen.
Im Hinblick auf die Schwere der Behandlungsfehler und das Ausmaß der Beeinträchtigungen der Klägerin sei ein einmaliges Schmerzensgeld von 200.000 EUR gerechtfertigt, v...