Entscheidungsstichwort (Thema)
Kollision eines Abbiegers in Grundstückseinfahrt mit einem Überholer
Leitsatz (amtlich)
1. Der Beweis des ersten Anscheins spricht nach der von beiden Verkehrssenaten des KG in ständiger Rechtsprechung geteilten überwiegenden Ansicht für ein Alleinverschulden des Kraftfahrers, der nach links in eine Grundstückseinfahrt ausschert und dabei mit einem links an einer stehenden Fahrzeugkolonne vorbeifahrenden Kfz kollidiert.
2. Der Begriff der unklaren Verkehrslage i.S.v. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO bezieht sich im Wesentlichen auf den zu überholenden und etwaigen Querverkehr, weil der Gegenverkehr bereits durch § 5 Abs. 2 Satz 1 StVO geschützt ist.
3. Eine überhöhte Geschwindigkeit führt nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung nur dann zu einer Mithaftung des Bevorrechtigten, wenn sie sich ursächlich auf den Unfall ausgewirkt hat; dabei reicht es nicht aus, dass bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit der Unfallgegner später am Unfallort gewesen wäre.
4. Sind keine Unfallspuren dokumentiert und trägt der Beklagte vor, er nehme an, dass zwar nicht die Kollisionsgeschwindigkeit, aber die Ausgangsgeschwindigkeit des Klägers 50 km/h (statt zugelassener 30 km/h) betragen habe, ist dies mangels hinreichender Anknüpfungstatsachen einem Beweis durch ein Unfallrekonstruktionsgutachten nicht zugänglich.
5. Die Unkostenpauschale beträgt nach ständiger Rechtsprechung beider Verkehrssenate 20 EUR; nach wie vor erfordert die Preisentwicklung auf dem Kommunikationsmarkt keine Veränderung der Pauschale.
Normenkette
StVG §§ 7, 17; BGB § 823 Abs. 1; StVO § 5
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 02.12.2009; Aktenzeichen 42 O 112/09) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers zu 2. wird das am 2.12.2009 verkündete Urteil des LG Berlin - 42 O 112/09 - im Urteilsausspruch zu 2. sowie von Amts wegen im Kostenpunkt teilweise geändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger zu 1. 1.060,90 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.11.2008 zu zahlen.
2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger zu 1. vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 272,87 EUR sowie an den Kläger zu 2. weitere 828,59 EUR vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen.
3. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger zu 2. ein Schmerzensgeld i.H.v. 4.250 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9.6.2009 zu zahlen.
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger zu 2. die nach Klageerhebung entstehenden materiellen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 21.10.2008 in der Schnellerstraße in Berlin zu ersetzen, soweit Ansprüche nicht auf Versicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
6. Die weitergehende Berufung des Klägers zu 2. sowie die Berufungen der Beklagten und des Klägers zu 1. werden zurückgewiesen.
7. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz hat der Kläger zu 2. 28 % der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Beklagten sowie 30 % seiner eigenen außergerichtlichen Kosten zu tragen; die Beklagten haben als Gesamtschuldner 72 % der Gerichtskosten und ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten zu tragen sowie die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1. und 70 % der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 2..
8. Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu 1. seine eigenen außergerichtlichen Kosten sowie 4 % der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu tragen; der Kläger zu 2. hat 27 % der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Beklagten sowie 28 % seiner eigenen außergerichtlichen Kosten zu tragen; die Beklagten haben als Gesamtschuldner 69 % der Gerichtskosten und ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten zu tragen sowie 72 % der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 2..
9. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
10. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Von der Darstellung eines Tatbestandes wird gem. § 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO (vgl. § 26 Nr. 8 EGZPO) abgesehen.
I. Berufung der Beklagten
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
a) Haftung dem Grunde nach
Den Klägern steht, wie auch das LG ohne Rechtsfehler angenommen hat, gegen die Beklagten als Gesamtschuldner ein Anspruch auf Ersatz der ihnen infolge des Verkehrsunfalls vom 21.10.2008 gegen 11.30 Uhr in der Schnellerstraße in Berlin Niederschöneweide erlittenen Schäden gem. §§ 7, 17 StVG, §§ 823 Abs. 1 BGB bzw. § 115 Abs. 1 VVG in voller Höhe zu.
Unstreitig hat sich der Unfall ereignet, als der Beklagte zu 1. aus der stehenden Fahrzeugkolonne nach links in eine Grundstückseinfahrt ausgeschert ist, um dort zu wenden und der Kläger zu 2. mit dem Kraftrad des Klägers zu 1. links an der stehenden Fahrzeugkolonne vorbeigefahren ist....