Leitsatz (amtlich)
1. Kommt es zwischen einem nach den örtlichen Verhältnissen zu schnell fahrenden Kraftfahrer, der zudem nicht rechtzeitig richtig unfallverhütend reagiert, und einem unter Alkoholeinfluß stehenden Fußgänger, der die Fahrbahn ohne jede Beachtung des Fahrzeugverkehrs überquert, zu einem Zusammenstoß, so kann nach den Umständen eine Verteilung des Schadens je zur Hälfte angemessen sein.
2. Der Sozialversicherungsträger (SVT) kann für die Zeit, in der er für seinen Versicherten Aufwendungen für ambulante ärztliche Behandlung hat, als Schadenersatz 3/8 des Grundlohns seines Versicherten ohne Nachweis seiner tatsächlichen Aufwendungen verlangen.
3. Da der Schadenersatzanspruch des Arbeiters im Falle der Lohnfortzahlung nur so auf den Arbeitgeber übergeht, wie er in der Person des Arbeiters entstanden ist, wirkt sich eine Minderung des Ersatzanspruchs des Arbeiters wegen eines mitwirkenden Verschuldens entsprechend auf die übergehende Forderung aus. Der auf den Arbeitgeber übergegangene Anspruch kann auch nur in dieser Höhe an den Sozialversicherer abgetreten werden.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 21.04.1973; Aktenzeichen 17 O 389/72) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das ohne mündliche Verhandlung ergangene, den Parteien durch Zustellung am 21. und 24. April 1973 mitgeteilte Urteil der Zivilkammer 17 des Landgerichts Berlin geändert:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin
2.896,18 DM (in Worten: Zweitausendachthundertsechsundneunzig 18/100 Deutsche Mark) nebst vier vom Hundert Zinsen für das Jahr seit dem 27. April 1972 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung der Klägerin und die Berufung der Beklagten werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zwei Fünftel und die Beklagten drei Fünftel zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin macht auf sie übergegangene Ersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 9. November 1970 gegen 21.35 Uhr in der Marchstraße in Berlin-Charlottenburg ereignet hat und bei dem ihr Mitglied G. S. verletzt worden ist. Zu der genannten Zeit befuhr der Beklagte zu 2) mit dem Personenkraftwagen des Beklagten zu 1) "Opel" - polizeiliches Kennzeichen: B-... - bei regnerischem Wetter und Dunkelheit die Marchstraße in nordöstlicher Richtung. Für dieses Fahrzeug bestand bei der Beklagten zu 3) eine Haftpflichtversicherung.
In Höhe des Grundstücks Nr. 20 war G. S. aus einem von dem Rentner R. W. geführten Kraftfahrzeug ausgestiegen. Er wollte dann die etwa zwölf Meter breite Fahrbahn der Marchstraße überqueren, und zwar für den Beklagten zu 2) von rechts nach links kommend. Jenseits der Fahrbahnmitte erfaßte der Beklagte zu 2) mit dem von ihm geführten Fahrzeug G. S. Dieser wurde zu Boden geschleudert. Er erlitt durch den Unfall einen Beckenringbruch und eine Gehirnerschütterung. Wegen dieser Verletzungen befand er sich vom Unfalltage bis zum 23. Dezember 1970 in stationärer Behandlung im Krankenhaus Moabit. Anschließend wurde er von der Ärztin Dr. E. R. in Berlin ambulant weiterbehandelt. S., der bei dem Unfall unter Alkoholeinfluß stand, war bis zum 17. Februar 1971 arbeitsunfähig.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, daß die Beklagten vier Fünftel des bei dem Unfall entstandenen Schadens zu ersetzen hätten.
Sie hat behauptet:
S. habe vor dem Unfall täglich 44,53 DM verdient, Er sei vor dem Zusammenstoß gemessenen Schrittes über die Fahrbahn gegangen. Er habe die Fahrbahn bereits zu zwei Dritteln überquert gehabt, als der Beklagte zu 2) ihn mit dem von ihm geführten Kraftfahrzeug erfaßt habe. S. habe sich mindestens fünf Sekunden auf der Fahrbahn befunden. Der Beklagte zu 2) hätte sein Fahrzeug aber innerhalb von drei Sekunden anhalten können.
Die Klägerin hat weiter geltend gemacht, der Beklagte zu 2) hätte hinter S. vorbeifahren müssen.
Die Klägerin hat den von den Beklagten verlangten Ersatzanspruch wie folgt berechnet:
1. |
Krankenhauspflegekosten für die Zeit vom 9. November bis zum 23. Dezember 1970 = 45 Tage je 55,65 DM = |
2.504,25 DM; |
2. |
Kosten der ambulanten Krankenpflege für die Zeit vom 24. Dezember 1970 bis zum 17. Februar 1971 = 56 Tage je 11,93 DM = |
668,08 DM; |
3. |
Kosten des Transportes zum Krankenhaus am 9. November 1970 |
23,40 DM; |
|
|
3.195,73 DM; |
hiervon 80 % (vier Fünftel) |
2.566,59 DM; |
4. |
Erstattung nach dem Lohnfortzahlungsgesetz für die Zeit vom 10. November bis zum 21. Dezember 1970 |
1.169,10 DM; |
5. |
Krankengeld für die Zeit vom 23. Dezember 1970 bis zum 17. Februar 1971 = 35 Arbeitstage je 33,40 DM = |
1.169,- DM; |
6. |
Hausgeld am 22. Dezember 1970 = ein Arbeitstag zu 11,13 DM = |
11,13 DM; |
|
|
4.915,82 DM. |
Die Klägerin hat noch geltend gemacht, die Beklagten befänden sich wegen einer ausdrücklichen Zahlungsverweigerung spätestens seit dem 27. April 1972 im Verzuge. Sie hat beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 4.915,82 DM nebst vier vom Hundert Zinsen für das Jahr seit dem 27. April 1972 zu zahlen.
...