Entscheidungsstichwort (Thema)
Identitätsfeststellung nach § 163b Abs. 1 StPO, Annexkompetenz
Leitsatz (amtlich)
Polizeibeamten dürfen einen flüchtigen Verdächtigen zur Identitätsfeststellung nach § 163b StPO festhalten; es liegt nahe, dass sie im Rahmen der Nacheile auch kurzfristig den Eingangsbereich der Wohnung des Flüchtenden betreten dürfen. Ein solches Vorgehen ist jedenfalls "rechtmäßig" im Sinne des § 113 Abs. 3 StGB.
Normenkette
StPO § 163b Abs. 1; StGB § 113 Abs. 3; GG Art. 13 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 08.01.2020; Aktenzeichen (561) 253 Js 3617/17 Ns (82/19)) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 8. Januar 2020, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil, soweit der Angeklagte freigesprochen wurde, mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revisionen - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen.
Gründe
I.
1. Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten am 14. Mai 2019 wegen Diebstahls in zwei Fällen sowie wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt. Auf seine Berufung hat das Landgericht das Urteil dahin geändert, dass der Angeklagte wegen Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt wird und ihn im Übrigen freigesprochen.
Hiergegen haben der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Der Angeklagte wendet sich vollumfänglich gegen seine Verurteilung; die Staatsanwaltschaft wendet sich allein gegen den Teilfreispruch des Angeklagten. Beide Rechtsmittel haben vollumfänglich Erfolg.
2. Das Landgericht hat zum Tatgeschehen die folgenden Feststellungen getroffen:
"Vor dem 29. April 2016 entwendete der Angeklagte das an einem Fahrradständer angeschlossenen Damenrad der Frau A., dass ca. 280-300 Euro gekostet hatte, und brachte es in seine Wohnung. Zudem entwendete er das an eine Regenrinne angeschlossene Kettler Alu Fahrrad der Frau K., das verschmutzt, nicht fahrbereit und ca. 18 Jahre alt war. Dieses Fahrrad verbrachte er in eine Fahrradwerkstatt und ließ einen neuen Sattel montieren. Die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war bei den Taten erheblich eingeschränkt, nicht jedoch aufgehoben.
Als er das Fahrrad der Frau K. am 29. April 2016 bei der Fahrradwerkstatt abholen wollte, wurde er von dem Inhaber der Werkstatt und von Frau K. darauf angesprochen, dass das Fahrrad der Frau K. gehöre und dass die Polizei informiert sei. Daraufhin sagte der Angeklagte zu Frau K., dass er das Fahrrad gefunden habe. Nach dem Eintreffen der Polizeibeamten teilte er diesen mündlich seinen Namen und seine Anschrift mit. Ausweispapiere führte er nicht mit sich. Er ging gemeinsam mit den beiden Polizeibeamten, Herrn S. und Frau P., zu seiner Wohnung in der Allerstraße. Dort öffnete der Angeklagte die Haustür und eine Wohnungstür. An der Klingel der Wohnungstür war ein Namensschild angebracht. Dieses wurde von den Polizeibeamten nicht in Augenschein genommen. Nach dem Öffnen der Haustür lief der Angeklagte schneller und ließ die Polizeibeamten hinter sich. Als der Angeklagte in der Wohnung war, versuchte er, die Wohnungstür zu schließen. Die Polizeibeamtin stemmte sich von außen gegen die Wohnungstür. Der Angeklagte sagte für die Polizeibeamtin hörbar, dass er nicht wolle, dass die Polizeibeamten in die Wohnung kämen. Die Wohnungstür wurde von den Polizeibeamten aufgedrückt. Dies geschah allein deshalb, weil sie die Identität des Angeklagten feststellen wollten. Nach ihrer damaligen Einschätzung bestand keine Fluchtgefahr des Angeklagten. Auch dachten sie nicht daran, dass sich in der Wohnung Beweisgegenstände oder Verfalls- oder Einziehungsgegenstände befinden könnten. Eine Datenabfrage im polizeilichen System hatte keinen Treffer zu den Daten des Angeklagten erbracht. Der Tatvorwurf war dem Angeklagten vor dem Betreten der Wohnung durch die Polizeibeamten mitgeteilt worden. Die Polizeibeamten versuchten den Angeklagten im Wohnungsflur zu sistieren. Dabei kam es zu einem Gerangel zwischen dem Angeklagten und den Polizeibeamten. Bei diesem Gerangel traf die Faust des Polizeibeamten S. den Oberkörper des Angeklagten. Vom Wohnungsflur aus sah die Polizeibeamtin in einem Zimmer mehrere Fahrräder. Der Angeklagte wurde aus seiner Wohnung in das Treppenhaus gezogen, wo das Gerangel weiterging. Der Angeklagte wurde dann von dem Polizeibeamten an eine gegen überliegende Türe gedrückt und blieb in dieser Position ca. 45 Minuten fixiert. Währenddessen traf der zur Unterstützung angeforderte Polizeibeamte G. ein. Nachdem ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss erlassen worden war, durchsuchten die Polizeibeamten die Wohnung und fanden...