Leitsatz (amtlich)
Zur Frage anwaltlicher Pflichtverletzung bei Beratung wegen Abschlusses eines gerichtlichen Vergleichs.
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 04.09.2003; Aktenzeichen 33 O 45/03) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das am 4.9.2003 verkündete Teilurteil der Zivilkammer 33 des LG Berlin - 33 O 45/03 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Berufung des Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
I. Zur Klage
1. Mit dem LG ist davon auszugehen, dass den Klägern gegen den Beklagten ein Anspruch auf Zustimmung zur Auszahlung des von der V.-Versicherung AG bei der Gerichtszahlstelle T. hinterlegten Betrages von 7.660,64 Euro zusteht. Dabei kann dahinstehen, ob, wie das LG meint, die vom BGH (BGH v. 5.12.1996 - IX ZR 67/96, MDR 1997, 397 = NJW 1997, 743) entwickelte Rechtsprechung zur rechtsähnlichen Anwendung des § 767 Abs. 2 ZPO auf eine Vollstreckungsgegenklage gegen einen Gebührenfestsetzungsbeschluss nach § 19 BRAGO a.F. auch auf den hier vorliegenden Fall einer Klage (des Gläubigers) auf Zustimmung zur Auszahlung eines hinterlegten Betrages anwendbar ist und ob das LG die Voraussetzungen für einen Ausschluss nach § 767 Abs. 2 ZPO zutreffend bejaht hat.
2. Die vom Beklagten gegen den Klageanspruch erhobenen materiell-rechtlichen Einwendungen führen auch dann nicht zur Klageabweisung, wenn sie vom Beklagten in zulässiger Weise erhoben worden sind. Denn die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs nach § 628 Abs. 2 BGB, den der Beklagte der Honorarforderung der Kläger entgegenhält, können nicht festgestellt werden.
a) Soweit der Beklagte den geltend gemachten Schadensersatzanspruch damit begründet, die Kläger hätten ihn nicht hinreichend über die Möglichkeit informiert, die Versicherung des Unfallgegners des Beklagten auf Zahlung für seinen laufenden Lebensunterhalt in Anspruch zu nehmen, folgt das Gericht den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils. Gleiches gilt für einen vom Beklagten geltend gemachten Beratungsfehler im Hinblick auf das Honorar der zuvor tätigen Rechtsanwälte.
b) Soweit der Beklagte ein vertragswidriges Verhalten der Kläger i.S.d. § 628 Abs. 2 BGB darin sehen will, dass diese ihn im Rahmen der Vergleichsverhandlungen am 13.7.2000 vor der Zivilkammer 17 des LG Berlin fehlerhaft beraten hätten, hat der Beklagte eine Pflichtverletzung der Kläger nicht aufgezeigt.
aa) Grundsätzlich ist der Rechtsanwalt aufgrund des Anwaltsvertrages verpflichtet, seinen Mandanten bei der Entscheidung über die Annahme eines Vergleichsvorschlages gründlich über das Für und Wider zu beraten (OLG Oldenburg v. 12.4.1991 - 6 U 230/90, NJW-RR 1991, 1499; Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Aufl., § 280 Rz. 82 m.w.N.). Er hat auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Informationen eine Prognose darüber zu treffen, wie der Rechtsstreit möglicherweise ausgehen wird, und muss auf der Grundlage dieser Überlegungen prüfen, ob einem Vergleich der Vorzug zu geben ist (OLG Oldenburg v. 12.4.1991 - 6 U 230/90, NJW-RR 1991, 1499). In diesem Zusammenhang sind zahlreiche Risikofaktoren abzuwägen. Dabei ist dem Anwalt der Ermessensspielraum zu belassen, dessen er auch bei gewissenhafter Interessenabwägung bedarf (BGH VersR 1968, 450 [451]; OLG Oldenburg v. 12.4.1991 - 6 U 230/90, NJW-RR 1991, 1499; Borgmann/Haug, Anwaltshaftung, 4. Aufl., Rz. 277 [280]). Würde man den Anwalt wegen jeder sich im Nachhinein als nachteilig herausstellenden Regelung einem Schadensersatz aussetzen, so würde dies praktisch das Ende jeder außergerichtlichen Vergleichspraxis bedeuten (BGH VersR 1968, 450 [451]). Der Anwalt hat von einem Vergleich dann abzuraten, wenn nach der Prozesslage begründete Aussicht besteht, dass im Fall einer Entscheidung ein wesentlich günstigeres Ergebnis zu erzielen ist (BGH v. 7.12.1995 - IX ZR 238/94, NJW-RR 1996, 567 [568]). Erscheint eine Vergleichsmöglichkeit deutlich ungünstiger als die voraussichtlichen Prozessaussichten, so darf der Anwalt nicht zu einem Vergleichsschluss raten. Ist der Vergleichsschluss eindeutig als ungünstiger anzusehen, etwa weil nach der Rechtsprechung und dem Schrifttum begründete Aussicht auf ein günstigeres Prozessergebnis besteht, so muss der Anwalt vom Vergleich abraten (Borgmann/Haug, Anwaltshaftung, 4. Aufl., Rz. 280, m.w.N.). Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Anwalt im Zusammenhang mit einem Vergleichsschluss die ihm obliegenden Pflichten schuldhaft verletzt hat, ist jedoch auf den Zeitpunkt des Vergleichsschlusses abzustellen (OLG Oldenburg v. 12.4.1991 - 6 U 230/90, NJW-RR 1991, 1499; Rinsche, Die Haftung des Rechtsanwalts und des Notars, 6. Aufl., I 489). Eine Ex-post-Betrachtung ist nicht zulässig (Rinsche, Die Haftung des Rechtsanwalts und des Notars, 6. Aufl., I 489).
bb) Bei Anlegung dieses Maßstabes lässt sich eine Pflichtverletzung der Kläger im vorliegenden Fall nicht feststellen. Der Beklagte hatte im Ausgangsverfahren gegen die V. Versicherung Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall gel...