Leitsatz (amtlich)
Zum Begriff des Funktionsarzneimittels (hier: „L-Carnitin plus Vitamin C” (1.000 mg).
Normenkette
AMG §§ 2, 21; HWG § 3a; UWG § 1
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 07.02.2002; Aktenzeichen 16 O 717/01) |
Tenor
Auf die Berufung des Antragstellers wird das am 7.2.2002 verkündete Urteil der Zivilkammer 16 des LG Berlin geändert:
Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten, untersagt, im geschäftlichen Verkehr das Mittel „L-Carnitin plus Vitamin C (pro Ampulle 1.000 mg Carnitin + 180 g Vitamin C)” ohne Zulassung als Arzneimittel (gem. § 21 AMG) zu bewerben und/oder zu vertreiben.
Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.
Gründe
I. Das LG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem aus dem hiesigen Tenor ersichtlichen Inhalt durch das angefochtene Urteil zurückgewiesen. Auf dessen tatsächliche Feststellungen wird Bezug genommen.
Mit der dagegen gerichteten Berufung verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter.
II. Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
1. Der Antragsteller ist gem. § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG antragsbefugt. Es handelt sich – auch nach höchstrichterlicher Rspr. – bei ihm um einen rechtsfähigen Verband zur Förderung gewerblicher Interessen i.S.d. § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG, der insb. nach seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung imstande ist, seine satzungsmäßigen Aufgaben der Verfolgung gewerblicher Interessen tatsächlich wahrzunehmen. Gerade im Bereich des Absatzes von Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln hat der BGH die Klagebefugnis des Antragstellers wiederholt deshalb bejaht, weil ihm eine repräsentative Anzahl von Gewerbetreibenden auf dem Markt der Arzneimittel als Mitglieder angehören, zwischen denen und den Wettbewerbern auf dem Markt der Nahrungsergänzungsmittel ein abstraktes Wettbewerbsverhältnis besteht (BGH MD 2002, 817 [819] – Sportlernahrung).
2. Dem Antragsteller steht der geltend gemachte Anspruch aus § 1 UWG i.V.m. §§ 2, 21 AMG und § 3a HWG zu. Das Bewerben des Produkts „L-Carnitin plus Vitamin C” ohne die nach dem AMG vorgeschriebene Zulassung verstößt gegen die §§ 21 Abs. 1 AMG und § 3a HWG, weil es sich bei dem angebotenen Mittel um ein (Funktions-) Arzneimittel handelt, wie der Antragsteller glaubhaft gemacht hat.
a) Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG sind Arzneimittel u.a. Stoffe, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung im menschlichen Körper Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern oder zu verhüten. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 AMG sind Arzneimittel auch solche Stoffe, die dazu bestimmt sind, vom menschlichen Körper erzeugte Wirkstoffe oder Körperflüssigkeiten zu ersetzen. Darüber hinaus fallen gem. § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG auch Stoffe und Zubereitungen unter den Arzneimittelbegriff, die die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktion des Körpers beeinflussen. Allerdings wird der Arzneimittelbegriff durch § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG dahin eingeschränkt, dass Lebensmittel i.S.d. § 1 LMBG keine Arzneimittel sind. Derselbe Stoff kann daher nicht gleichzeitig Lebensmittel und Arzneimittel sein.
Nach § 1 Abs. 1 LMBG sind Lebensmittel Stoffe, die dazu bestimmt sind, in unverändertem, zubereitetem oder verarbeitetem Zustand von Menschen verzehrt zu werden. Ausgenommen sind Stoffe, die überwiegend dazu bestimmt sind, zu anderen Zwecken als zur Ernährung oder zum Genuss verzehrt zu werden. Entscheidend für die Einordnung eines Produktes als Arzneimittel oder Lebensmittel ist seine an objektive Merkmale anknüpfende überwiegende Zweckbestimmung, wie sie sich für einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher darstellt. Die Verkehrsanschauung knüpft regelmäßig an eine schon bestehende Auffassung über den Zweck vergleichbarer Mittel und ihre Anwendung an, die wiederum davon abhängt, welche Verwendungsmöglichkeiten solche Mittel ihrer Art nach haben. Die Vorstellung der Verbraucher von der Zweckbestimmung eines Produktes kann weiter durch die Auffassung der pharmazeutischen oder medizinischen Wissenschaft beeinflusst sein, ebenso durch die dem Mittel beigefügten oder in Werbeprospekten enthaltenen Indikationshinweise und Gebrauchsanweisungen sowie die Aufmachung, in der das Mittel dem Verbraucher allgemein entgegentritt (vgl. BGH, Urt. v. 11.7.2002 – I ZR 34/01 – Muskelaufbaupräparate, BGHReport 2002, 930, MD 2002, 420 – Sportlernahrung –; GRUR 2000, 528 [530] – L-Carnitin 500; v. 19.1.1995 – I ZR 209/92, MDR 1996, 279 = GRUR 1995, 419 [420] – Knoblauchkapseln; KG, ZRL 2001, 576 [583]; KG, Urt. v. 25.6.2002 – 5 U 8456/00 – „Power-Booster”).
Zum Verzehr bestimmte Stoffe sind erst dann Arzneimittel, wenn der arzneiliche Zweck überwiegt. Bei einem gleichwertigen Zweck bleibt der Stoff ein Lebensmittel (VGH ...