Entscheidungsstichwort (Thema)
Betäubungsmittelstrafrecht: Konkurrenz zwischen Anbau und Besitz in nicht geringer Menge
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Aufzucht von 39 Cannabispflanzen mit einem in getrocknetem Zustand ausgewogenen Pflanzenmaterial von 1030 g und unter Zugrundelegung eines relativen Fehlers von +/- 10 % einem Wirkstoffgehalt von insgesamt 9,384 g Tetrahydrocannabinol (THC) verletzt die Tatbestände des unerlaubten Anbaus (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG) und des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG).
2. Im Hinblick darauf, dass die gesetzliche Neuregelung der von dem Besitz einer nicht geringe Menge von Rauschgift ausgehenden abstrakten Gefahr der Weitergabe an Dritte Rechnung trägt, schließt es diese Regelung aus, jedenfalls in den Fällen nicht geringer Mengen den Besitz von Betäubungsmitteln als bloßen Auffangtatbestand aufzufassen, der vom unerlaubten Anbau verdrängt werden könnte.
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 20.09.2000; Aktenzeichen (569) 5 Op Js 953/99 Ns (99/00)) |
Gründe
Das Schöffengericht Tiergarten in Berlin hat die Angekl. wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt; die Vollstreckung dieser Strafe hat es zur Bewährung ausgesetzt. Auf die Berufung der Angeklagten hat das Landgericht den Schuld- und Strafausspruch des Urteils abgeändert und die Angekl. wegen unerlaubten Anbaus von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe verurteilt. Die form- und fristgerecht eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft Berlin hat Erfolg.
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgendes festgestellt: die Angeklagte pflanzte in der ersten Hälfte des Jahres 1999 auf dem Balkon ihrer Wohnung Cannabispflanzen, die außerordentlich gut gediehen. Auch nachdem ihr von Freunden mitgeteilt worden war, dass die Aufzucht dieser Pflanzen in Deutschland nicht gestattet sei, vernichtete sie diese nicht. Anlässlich einer polizeilichen Wohnungsdurchsuchung wurden 39 Cannabispflanzen mit einer Wuchshöhe von etwa einem Meter sichergestellt. Das in getrocknetem Zustand ausgewogene Pflanzenmaterial wies ein Gewicht von 1030 g auf und hatte unter Zugrundelegung eines relativen Fehlers von +/- 10 % einen Wirkstoffgehalt von insgesamt 9,384 g Tetrahydrocannabinol (THC).
Das Landgericht hat auf Grund dieser Feststellungen zutreffend angenommen, dass das Verhalten der Angeklagten sowohl den Tatbestand des unerlaubten Anbaus von Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG) als auch - wegen Überschreitung des Grenzwertes von 7,5 g THC - den des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) erfüllt hat.
2. Die Revision beanstandet mit Recht, dass das Landgericht die Angeklagte auf Grund dieser Feststellungen lediglich wegen unerlaubten Anbaus von Betäubungsmitteln, nicht aber wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt hat. Die Auffassung des Landgerichts, dass der Tatbestand des Besitzes von Betäubungsmitteln auch dann als Auffangtatbestand hinter den Anbau von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG zurücktrete, wenn es sich um den Besitz eine nicht geringe Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG handelt, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
§ 29 Abs. 1 BtMG stellt neben anderen Tatmodalitäten sowohl den unerlaubten Anbau (Nr. 1) als auch den unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln (Nr. 3) unter Strafe. Es ist anerkannt, dass derjenige, der Betäubungsmitteln angebaut, daran auch zugleich Besitz haben kann (vgl. BGH NStZ 1990, 285), und es ist in Rechtsprechung und Literatur ebenfalls anerkannt, dass in derartigen Fällen der unerlaubten Besitzes gegenüber den anderen Tatbestandsalternativen keinen eigenen Unrechtsgehalt hat und von den spezielleren Erscheinung vorn in dieser Vorschrift verdrängt wird (vgl. BGH a.a.O.; OLG Dresden NStZ-RR 1999, 372 ; OLG Düsseldorf NStZ 1999, 88 ; Körner, BtMG 4. Aufl., § 29 Rdnr. 854, 859).
Das gilt - entgegen der nicht näher begründeten Ansicht des Landgerichts - jedoch nicht für das Konkurrenzverhältnis von unerlaubten Anbau im Sinne von § 29 Abs. 1 BtMG und den Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, die er seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität vom 9. September 1992 (BGBl I 1593) als Verbrechen strafbar ist. Im Hinblick darauf, dass die gesetzliche Neuregelung der von dem Besitz einer nicht geringe Menge von Rauschgift ausgehenden abstrakten Gefahr der Weitergabe an Dritte Rechnung trägt hat der Bundesgerichtshof zu einem Fall des Erwerbs von Betäubungsmitteln bereits entschieden (vgl. BGHSt 42, 162 [165]), dass diese Regelung es ausschließt, jedenfalls in den Fällen nicht geringer Mengen den Besitz von Betäubungsmitteln als bloßen Auffangtatbestand aufzufassen, der von unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln verdrängt werde...