Leitsatz (amtlich)
Ist im Gesellschaftsvertrag einer GmbH für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters festgelegt, dass zum Gesellschaftsvermögen gehörende Grundstücke in der Abfindungsbilanz auf der Basis des Verkehrswerts zu bewerten sind und ein Firmenwert nicht in Ansatz zu bringen ist, und hat die Gesellschaft ihre Immobilien wenige Monate nach dem relevanten Bewertungsstichtag veräußert, so ist als "Verkehrswert" grundsätzlich der tatsächlich erzielte Verkaufspreis abzgl. der bei der Veräußerung notwendig anfallenden Kosten und Steuerlasten anzusetzen. Denn anders als bei einer - notwendig mit Unsicherheiten verbundenen - (sachverständigen) Schätzung, die sich nur an allgemeinen Erfahrungswerten orientiert, wird durch die Veräußerung der in dem Vermögensgegenstand steckende Marktwert realisiert und damit der "wirkliche" Verkehrswert unmittelbar festgestellt (Anlehnung an BGH, Beschl. v. 25.11.2010 - IV ZR 124/09; Teilurteil v. 14.10.1992 - IV ZR 211/91, NJW-RR 1993, 131 - beide Entscheidungen zum Pflichtteilsrecht).
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 30.09.2009; Aktenzeichen 100 O 107/08) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 30.9.2009 verkündete Urteil des LG Berlin - 100 O 107/08 - geändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 236.343,98 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.10.2009 zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn die Klägerin nicht vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Klägerin war bis zum Ablauf des 30.9.2006 Gesellschafterin der ursprünglich als K.W.GmbH firmierenden Beklagten. Die Parteien streiten über die Höhe des ihr zustehenden Abfindungsguthabens.
Die Beklagte wurde durch notarielle Urkunde vom 18.3.2005 durch Herrn Dr. ...R., die Klägerin und Herrn ...K.als Gesellschafter mit einem Stammkapital von 25.500 EUR errichtet. Jeder der Gesellschafter übernahm eine Stammeinlage von 8.500 EUR.
Der Gesellschaftsvertrag der Beklagten enthält u.a. folgende Regelungen:
"§ 2 Gegenstand der Gesellschaft
Der Gegenstand der Gesellschaft ist der Erwerb und die Verwaltung eigenen Immobilienvermögens. (...)
§ 12 Austritt und Kündigung
1. Eine Kündigung ist jederzeit mit einer Frist von 3 Monaten zum Quartalsende möglich. Durch die Kündigung wird die Gesellschaft nicht aufgelöst, vielmehr scheidet der Kündigende aus der Gesellschaft aus.
2. Der ausscheidende Gesellschafter ist nach der Wahl der Gesellschaft verpflichtet, seinen Geschäftsanteil jeweils ganz oder zum Teil an die Gesellschaft selbst, an einen oder mehrere Gesellschafter oder an von der Gesellschaft zu benennende Dritte abzutreten oder die Einziehung zu dulden. (...)
§ 14 Bewertung und Abfindung
1. In allen Fällen des Ausscheidens eines Gesellschafters oder der Einziehung von Geschäftsanteilen ist dem betroffenen Gesellschafter eine Abfindung zu zahlen. Der Wert des Geschäftsanteils ist aufgrund einer Abfindungsbilanz zu ermitteln; die Abfindungsbilanz wird durch einen von der Gesellschafterversammlung zu bestimmenden, zur Berufsverschwiegenheit verpflichteten Dritten auf Kosten des Ausscheidenden unverzüglich erstellt.
Grundstücke, die zum Gesellschaftsvermögen gehören, sind in der Abfindungsbilanz auf der Basis des Verkehrswerts zu bewerten. Ein Firmenwert ist nicht in Ansatz zu bringen.
2. Der ermittelte Gesamtwert wird im Verhältnis der Beteiligungsquoten auf die Geschäftsanteile umgelegt. Alle Aktiva und Passiva sind mit ihrem gemeinen Wert anzusetzen.
3. Das Auseinandersetzungsguthaben ist sodann in fünf gleichen Raten im Abstand von sechs Monaten auszuzahlen. Die erste Rate ist fällig drei Monate nach Ausscheiden des Gesellschafters. (...) Gerät die Gesellschaft mit der Abfindungszahlung länger als zwei Wochen in Verzug, so ist der Restbetrag sofort fällig.
(...)
4. Das jeweilige Restguthaben ist mit 2 % über dem gesetzlichen Basiszinssatz zu verzinsen. (...)"
Wegen der weiteren Regelungen des Gesellschaftsvertrags wird auf die in Kopie als Anlage K 1 eingereichte Urkunde des Notars ...F.zur Urkundenrolle Nr. F 321/2005 verwiesen.
Die Klägerin sowie die beiden anderen Gesellschafter der Beklagten zahlten das Stammkapital ein. Kurz nach ihrer Errichtung erwarb die Beklagte vier mit Mehrfamilienhäusern in Plattenbauweise bebaute Grundstücke in J.(im Folgenden: "die Immobilie") zu einem Kaufpreis von ca. 1,3 Mio. Euro; die Immobilie stellte im Folgenden ihr wesentliches Vermögen dar. Mit Schreiben an die Beklagte vom 30.6.2006 erklärte die Klägerin die Kündigung des Gesellschaftsverhältnisses zum Ablauf des 30.9.2006.
In Auftrag der Beklagten erstellte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft R.am 28.9.2006 eine Auseinandersetzungsbilanz für die Beklagte auf den Stichtag 30.9.2006. Diese wies einen Verlust i.H.v. 16...