Leitsatz (amtlich)
Der Beweis des ersten Anscheins gegen den Auffahrenden setzt voraus, dass beide Fahrzeuge - unstreitig oder erwiesenermaßen - so lange in einer Spur hintereinander hergefahren sind, dass sich beide Fahrzeugführer auf die vorangegangenen Fahrbewegungen hätten einstellen können (OLG Celle VersR 1982, 960; OLG München v. 21.4.1989 - 10 U 3383/88, NZV 1989, 438; KG, Urt. v. 22.6.1992 - 12 U 7008/91; v. 7.6.1999 - 12 U 4408/97; v. 11.9.2000 - 12 U 1361/99).
Bleibt dies ebenso ungeklärt wie die Frage, ob sich der Unfall in unmittelbarem zeitlichem und örtlichem Zusammenhang mit einem - unstreitigen - Fahrstreifenwechsel des angestoßenen Fahrzeugs ereignet hat, ist der Schaden hälftig zu teilen.
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 02.06.2003; Aktenzeichen 24 O 178/03) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin, die im Übrigen zurückgewiesen wird, wird das am 2.6.2003 verkündete Urteil des LG - Aktenzeichen 24 O 178/03 - abgeändert:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 2.311,28 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 19.3.2003 zu zahlen.
Die weiter gehende Klage wird abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 55 % und die Beklagten 45 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Berufung ist zulässig und hat in der Sache in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Entgegen der Ansicht des LG kann nicht zu Gunsten der Beklagten davon ausgegangen werden, dass der Unfall auf einem schuldhaften Verstoß der Klägerin gegen die sich aus § 7 Abs. 5 StVO ergebenden Sorgfaltspflichten beruht. Ein dahingehender Anscheinsbeweis kommt nicht in Betracht. Zwischen den Parteien ist gerade nicht unstreitig, dass sich der Unfall in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem - unstreitigen - Fahrstreifenwechsel der Klägerin ereignet hat. Vielmehr hat die Klägerin behauptet, sie habe nach dem Fahrstreifenwechsel und vor dem Unfall 30 bis 40 Sekunden an der Ampel gestanden. Damit fehlt es an einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen Fahrstreifenwechsel und Unfall.
Es kann aber auch nicht zugunsten der Klägerin davon ausgegangen werden, dass der Unfall von der auffahrenden Beklagten verschuldet worden ist. Der gegen den Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis setzt nämlich voraus, dass beide Fahrzeuge - unstreitig oder erwiesenermaßen - so lange in einer Spur hintereinander hergefahren sind, dass sich beide Fahrzeugführer auf die vorangegangenen Fahrbewegungen hätten einstellen können (OLG Celle VersR 1982, 960; OLG München v. 21.4.1989 - 10 U 3383/88, NZV 1989, 438; KG, Urt. v. 25.9.2003 - 12 U 34/02; v. 22.6.1992 - 12 U 7008/91; v. 7.6.1999 - 12 U 4408/97; v. 11.9.2000 - 12 U 1361/99). Diese Voraussetzung ist vorliegend aber nicht erwiesen.
Bleibt der Unfall aber - wie hier - bei einem ernsthaft möglichen Fahrstreifenwechsel als Unfallursache ungeklärt, ist der Schaden hälftig zu teilen (KG v. 6.2.1997 - 12 U 5521/95, KGReport Berlin 1997, 223 = VM 1997, 43 Nr. 58).
Die der Höhe nach unstreitigen Schadenspositionen haben die Beklagten der Klägerin deshalb - mit Ausnahme des Schmerzensgeldes - zu 50 % zu ersetzen. Ein Schmerzensgeld kann die Klägerin nicht beanspruchen, da - wie oben dargelegt - von einer schuldhaften Unfallverursachung durch den Beklagten zu 1) nicht ausgegangen werden kann.
Die Revision war nicht zuzulassen, da weder die Sache grundsätzliche Bedeutung hat, noch eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Rechtsfortbildung oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO n.F.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die weiteren prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1305026 |
DAR 2005, 157 |
VRS 2005, 25 |
KG-Report 2005, 99 |