Entscheidungsstichwort (Thema)

Verkehrsunfallhaftung: Anscheinsbeweis bei Auffahrunfall nach einem Fahrstreifenwechsel

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Anscheinsbeweis für das Verschulden des Auffahrenden kann dann nicht angenommen werden, wenn der Vorausfahrende unmittelbar oder einige Augenblicke zuvor den Fahrstreifen gewechselt hat (Rz. 13)(Rz. 16).

2. Im Falle eines unstreitigen Fahrstreifenwechsels des Vorausfahrenden setzt der Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden voraus, dass beide Fahrzeuge unstreitig oder erwiesenermaßen so lange in einer Spur hintereinander gefahren sind, dass sich beide Fahrzeugführer auf die vorangegangenen Fahrzeugbewegungen hätten einstellen können (Rz. 17).

 

Normenkette

StVO § 7 Abs. 5, § 9 Abs. 1; StVG §§ 7, 17

 

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

2. Die Berufungskläger erhalten gem. § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO Gelegenheit, hierzu binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen.

 

Gründe

Die Berufungen haben keine Aussicht auf Erfolg, die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert keine Entscheidung des Berufungsgerichts, § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

Die Berufung der Widerklägerin und Berufungsklägerin zu 3. ist bereits unzulässig, weshalb angeraten wird, diese zurückzunehmen.

Die Widerklägerin ist durch das angegriffene Urteil nur insoweit beschwert, als ihre Widerklage abgewiesen worden ist. Hiergegen richtet sich die Berufung ausweislich des Schriftsatzes vom 6.11.2006 und der Berufungsbegründung vom 18.12.2006 jedoch nicht, da die Berufungskläger nur die Aufhebung des Urteils insoweit begehren, als sie zur Zahlung verurteilt worden sind. Die ist jedoch nur für die Beklagten zu 1) und 2) der Fall; eine Verurteilung der Widerklägerin erfolgte in dem angegriffenen Urteil nicht.

Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels setzt jedoch eine Beschwer des Rechtsmittelklägers voraus, sowie das Bestreben, diese Beschwer mit dem Rechtsmittel zu beseitigen (vgl. Gummer/Heßler in Zöller, 26. Aufl., Vor § 511 ZPO, Rz. 10). Dies ist bei der Widerklägerin nicht der Fall, so dass ihre Berufung bereits mangels Beschwer unzulässig und deshalb gem. § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO zu verwerfen ist.

Die Berufung kann jedoch auch im Übrigen keinen Erfolg haben.

Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

Beides ist nicht der Fall.

Das LG hat in dem angegriffenen Urteil zu Recht darauf erkannt, dass die Beklagten zu 1) und 2) dem Kläger dem Grunde nach in vollem Umfang Schadenersatz schulden.

Es ist nämlich zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte zu 1) den gegen sie sprechenden Anscheinsbeweis, sie habe die ihr gem. § 7 Abs. 5 StVO obliegende Sorgfaltspflicht bei einem Fahrstreifenwechsel nicht in ausreichendem Maße beachtet, nicht zu entkräften vermochte.

Der Fahrstreifenwechsel der Beklagten zu 1) vor dem von ihr geplanten Linksabbiegen ist zwischen den Parteien unstreitig.

Das LG hat die erforderlichen Sorgfaltspflichten für einen Fahrstreifenwechsel in dem angegriffenen Urteil zutreffend dargelegt, weshalb hierauf verwiesen werden kann.

Soweit die Berufungsführer ihre Angriffe gegen das erstinstanzliche Urteil darauf stützen, dass die Beklagte zu 1) nach ihrer Behauptung den Fahrstreifen bereits vollständig gewechselt und einige Sekunden gestanden habe, als es zu dem streitgegenständlichen Unfall kam, verhilft dies der Berufung nicht zum Erfolg.

Bei einer Kollision mit dem nachfolgenden Verkehr unmittelbar nach einem Fahrstreifenwechsel spricht der Anschein für eine Missachtung der Sorgfaltspflicht des Fahrstreifenwechslers.

Dieser Anscheinsbeweis ist durch die Beklagten nicht entkräftet worden. Selbst wenn die Angaben der Beklagten unterstellt würden, die Beklagte zu 1) habe zum Zeitpunkt des Unfalls bereits 5 bis 10 Sekunden gestanden, so wäre damit ein unmittelbarer zeitlicher und örtlicher Zusammenhang des von ihr unstreitig vorgenommenen Fahrstreifenwechsels nicht beseitigt worden.

Insbesondere oblag dem Kläger auch entgegen der Auffassung der Berufung nicht der Beweis dafür, dass er den Unfall nicht durch Unachtsamkeit, zu geringen Abstand oder überhöhte Geschwindigkeit verursacht hatte.

Ein Anscheinsbeweis für das Verschulden des Auffahrenden im Straßenverkehr kann nämlich dann nicht angenommen werden, wenn der Vorausfahrende unmittelbar zuvor den Fahrstreifen gewechselt hat (OLG Frankfurt, Urteil vom 2.3.2006 - 3 U 220/05 - zfs 2006, 259). Der Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden versagt schon bei regelmäßigem Verkehrsfluss dann, wenn der Vorausfahrende erst einige Augenblicke vor dem Auffahrunfall in den Fahrstreifen des Auffahrenden gewechselt hat (KG, Urt. v. 22.1.2001 - 22 U 1044/00, KGReport Berlin 2001, 93).

Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der B...

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