Leitsatz (amtlich)

Das Fahrmanöver des Verkehrsteilnehmers, der auf einer weitläufigen Kreuzung mit ca. 12 m breitem Mittelstreifen eine Strecke von mehr als 18 m zurücklegen muss, um nach Verlassen der zunächst befahrenen Richtungsfahrbahn in die gegenläufige Richtungsfahrbahn abbiegen zu können, ist kein "Wenden" i.S.d. § 9 Abs. 5 StVO, sondern zweimaliges Abbiegen nach links.

Das hat zur Folge, dass dieser Verkehrsteilnehmer als sog Kreuzungsräumer im Falle einer Kollision mit einem in späterer Grünphase sorglos in die Kreuzung einfahrenden Fahrzeug berechtigt ist, nach einer Quote von 2/3 Schadenersatz zu verlangen.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 03.12.2002; Aktenzeichen 17 O 445/01)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 3.12.2002 verkündete Urteil der Zivilkammer 17 des LG Berlin (LG Berlin, Urt. v. 3.12.2002 - 17 O 445/01) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Gericht folgt den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils, die durch das Vorbringen in der Berufung nicht entkräftet werden. Ergänzend weist das Gericht auf Folgendes hin:

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Kläger im vorliegenden Fall als bevorrechtigter Kreuzungsräumer anzusehen, sodass er grundsätzlich Erstattung von 2/3 der ihm bei dem streitgegenständlichen Unfall entstandenen Schäden beanspruchen kann. Etwas anderes folgt auch nicht aus der von den Beklagten zitierten Entscheidung des Senats vom 1.11.1984 (KG v. 1.11.1984 - 12 U 1080/84, VM 1985, 44). Dort hat der Senat ausgesprochen, dass unter den Begriff des Kreuzungsräumers nur Geradeausfahrer oder Linksabbieger fallen, nicht dagegen solche Fahrzeuge, die auf einer Kreuzung wenden. Hierzu hat das LG auf S. 5 des angefochtenen Urteils jedoch zutreffend ausgeführt, dass das Fahrmanöver des Klägers angesichts der Weitläufigkeit der Kreuzung, auf der sich der Unfall ereignet hat, insb. wegen des ca. 12m breiten Mittelstreifens der Warschauer Straße, nicht als Wenden i.S.d. § 9 Abs. 5 StVO anzusehen ist, sondern als zweimaliges Linksabbiegen. So hat der 22. Zivilsenat des KG bereits mit Urteil vom 14.11.1974 (KG, Urt. v. 14.11.1974, VM 1975, 46) ausgesprochen, dass ein Kraftfahrer, der auf einer Straße mit zwei durch einen 11 m breiten Mittelstreifen getrennten Fahrbahnen an einem Mittelstreifendurchbruch die Fahrtrichtung ändert um auf der Gegenfahrbahn in entgegengesetzter Richtung weiterzufahren, nicht wendet, sondern zweimal links abbiegt. Dem steht die Entscheidung des Senats vom 19.6.1975 (KG v. 19.6.1975 - 12 U 324/75, VM 1975, 78 f.) nicht entgegen. In dem dort zu entscheidenden Fall betrug die Breite des Mittelstreifens lediglich 7,6 m. Der Senat hat in dem zitierten Urteil darauf abgestellt, dass der Kraftfahrer in dem dortigen Fall angesichts des Wendekreises seines Fahrzeugs den Wechsel der Fahrtrichtung in einem einzigen Bogen vornehmen konnte. Ein solches einheitliches Fahrmanöver war für den Kläger im vorliegenden Fall, wie sich aus der bei der Beiakte befindlichen maßstabgerechten Skizze vom Unfallort ohne weiteres ergibt, nicht möglich. Vielmehr musste er, nachdem er die östliche Richtungsfahrbahn der Warschauer Straße verlassen hatte, mit seinem Fahrzeug in westlicher Richtung ca. 18m zurücklegen, bevor er die im Kreuzungsbereich befindliche Wartelinie erreichte, in deren Höhe er sein Fahrzeug nach Süden lenkte, um in die westliche Richtungsfahrbahn der Warschauer Straße Fahrtrichtung Süden zu gelangen. Ist das Fahrmanöver des Klägers aber nicht als Wenden i.S.d. § 9 Abs. 5 StVO anzusehen, sondern als zweimaliges Linksabbiegen, so ist eine Ausnahme vom Grundsatz, dass Fahrzeuge, welche im Zuge einer früheren Grünphase in den Bereich einer Kreuzung eingefahren sind, beim Verlassen der Kreuzung ggü. solchen Fahrzeugen bevorrechtigt sind, die erst im Zuge einer späteren Grünphase in den Kreuzungsbereich einfahren wollen, nicht gerechtfertigt. Diese Auslegung entspricht auch dem Erfordernis, im Interesse der Verkehrssicherheit eine klare und eindeutige Regelung der Frage zu erzielen, wer den Vorrang genießt, wenn ein Fahrzeug im Kreuzungsbereich hängengeblieben ist (vgl. dazu BGH BGHZ 56, 146 [152])

Soweit die Beklagten in erster Instanz Einwendungen zur Höhe des vom Kläger verlangten Schadensersatzes geltend gemacht haben, hat das LG dem in dem angefochtenen Urteil Rechnung getragen.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts fordern (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1240017

DAR 2004, 700

NZV 2005, 95

ZfS 2004, 505

KG-Report 2004, 572

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