Selbst wenn der Unterhaltspflichtige einer vollzeitigen Erwerbstätigkeit nachgeht, kann eine Obliegenheit zur Aufnahme einer darüberhinausgehenden Nebentätigkeit bestehen, soweit der Mindestunterhalt ohne dieses zusätzliche Einkommen nicht geleistet werden kann. Allerdings sind im Rahmen der Zumutbarkeit einer Nebentätigkeit trotz der gesteigerten Unterhaltspflicht Grenzen zu berücksichtigen, die sich insbesondere aus den Vorschriften des Arbeitsschutzes und den Umständen des Einzelfalls ergeben.[1] Die Anforderungen dürfen nicht dazu führen, dass eine Tätigkeit trotz der Funktion des Mindestunterhalts, das Existenzminimum des Kindes zu sichern, unzumutbar erscheint. Der BGH[2] führt hierzu aus:

BGH, Urteil v. 3.12.2008, XII ZR 182/06

Zitat

Im Rahmen der Zumutbarkeit einer Nebentätigkeit sind zunächst die objektiven Grenzen einer Erwerbstätigkeit unter Berücksichtigung des Umfangs der schon ausgeübten Vollzeittätigkeit zu berücksichtigen. Übt der Unterhaltspflichtige eine Berufstätigkeit aus, die 40 Stunden wöchentlich unterschreitet, kann grundsätzlich eine Nebentätigkeit von ihm verlangt werden. Denn wegen der gesteigerten Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB muss der Unterhaltspflichtige sich mindestens an der Höchstgrenze der regelmäßigen Erwerbstätigkeit orientieren, die gegenwärtig noch 40 Stunden wöchentlich beträgt. Allerdings sind im Rahmen der objektiven Zumutbarkeit auch die Grenzen des Arbeitszeitgesetzes zu beachten. Nach § 3 ArbZG darf die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer acht Stunden nicht überschreiten. Ausnahmen kommen nur in engen Grenzen in Betracht. Nach § 9 Abs. 1 ArbZG dürfen Arbeitnehmer an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen grundsätzlich nicht beschäftigt werden. Damit ist die wöchentliche Arbeitszeit regelmäßig auf (6 Tage x 8 Stunden =) 48 Stunden begrenzt, wobei nach § 2 ArbZG die Arbeitszeiten bei verschiedenen Arbeitgebern zusammenzurechnen sind. Lediglich in mehrschichtigen Betrieben kann der Beginn und das Ende der Sonn- und Feiertagsruhe verschoben werden. Darüber hinaus sieht § 10 ArbZG Ausnahmen für bestimmte Arbeiten vor, die nicht an Werktagen vorgenommen werden können. Mit diesen Vorschriften ist aus objektiver Sicht die Obergrenze der zumutbaren Erwerbstätigkeit auch für die Fälle vorgegeben, in denen der Unterhaltspflichtige nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB gesteigert unterhaltspflichtig ist (vgl. Senatsurteil vom 20. Februar 2008 – XII ZR 101/05 – FamRZ 2008, 872, 875 und BVerfG FamRZ 2003, 661, 662)(…)

Im Rahmen der Zurechnung fiktiver Nebenverdienste ist weiterhin zu prüfen, ob und in welchem Umfang es dem Unterhaltspflichtigen unter Abwägung seiner von ihm darzulegenden besonderen Lebens- und Arbeitssituation einerseits und der Bedarfslage des Unterhaltsberechtigten andererseits zugemutet werden kann, eine Nebentätigkeit auszuüben (vgl. BVerfG FamRZ 2003, 661, 662)(…)

Die Zurechnung fiktiver Einkünfte setzt neben den nicht ausreichenden Erwerbsbemühungen eine reale Beschäftigungschance voraus. Die Gerichte müssen deswegen prüfen, ob es Nebentätigkeiten entsprechender Art für den Unterhaltspflichtigen überhaupt gibt und der Aufnahme einer solchen Tätigkeit keine rechtlichen Hindernisse entgegenstehen, für die der Unterhaltspflichtige darlegungs- und beweispflichtig ist (Senatsurteil vom 22. Oktober 1997 – XII ZR 278/95 – FamRZ 1998, 357, 359; BVerfGE 68, 256, 270 = FamRZ 1985, 143, 146).“

In die anzustellende Zumutbarkeitsprüfung sind – neben dem Alter und der körperlichen Konstitution des Unterhaltspflichtigen – auch die Interessen der von dem Unterhaltspflichtigen betreuten Kinder einzustellen.[3]

 
Hinweis

In der Praxis bietet es sich an, für die Prüfung der individuellen Zumutbarkeit einer Nebentätigkeit folgende Checkliste[4] durchzugehen:

Aspekte zum Hauptberuf:

  • vorhandene Belastung durch den Hauptberuf,
  • tatsächlich anfallende Überstunden,
  • wechselnde Arbeitszeiten (Schichtdienst),
  • lange Fahrzeiten bei der bestehenden Erwerbstätigkeit (Montagetätigkeit),
  • Fahrzeiten zur Arbeitsstelle,

Aspekte zur Nebentätigkeit:

  • Art der möglichen Nebentätigkeit,
  • konkrete Voraussetzungen beim Unterhaltspflichtigen (objektive berufliche Voraussetzungen, Kenntnisse, Fähigkeiten, berufliche Vorbildung, persönliche Einsatzmöglichkeiten),
  • Verfügbarkeit von einschlägigen Nebentätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt,
  • Belastungen durch die Nebentätigkeit,
  • zeitlicher Aufwand,
  • Koordination mit den Zeiten des Hauptberufs,
  • Zeitaufwand für die Fahrten zur Nebentätigkeit,
  • körperliche und psychische Belastung,
  • Fahrtkosten,

Persönliche Aspekte:

  • gesundheitliche Gesichtspunkte,
  • Notwendigkeit regelmäßiger Freizeit als Erholungszeiten,
  • zeitlicher Umfang des Umgangs mit den Kindern,
  • besondere Kosten des Umgangsrechts,
  • Übernahme von Erziehungs- und Betreuungsaufgaben gegenüber seinen Kindern, auch in einer neuen Familie,
  • zeitlicher Aufwand für die Eigenversorgung,
  • Belastung durch die eigene Haushaltstätigkeit.

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