Leitsatz
In dieser der Entscheidung zugrunde liegenden Fallkonstellation hatte ein erwachsenes Kind seine bereits erreichte wirtschaftliche Selbständigkeit wieder verloren. Es ging um die Frage, ob Eltern sich darauf einstellen müssen, dass das erwachsene Kind erneut Unterhalt beansprucht. Ferner ging es um die Frage des ihnen zustehenden Selbstbehalts.
Sachverhalt
Der Kläger, ein übergeordneter Träger der Sozialhilfe, gewährte der 1958 geborenen und inzwischen erwerbsunfähigen Tochter des Beklagten seit Februar 2007 fortlaufend Eingliederungshilfe. Er nahm den 1935 geborenen Beklagten, der als Rentner über Einkünfte von ca. 1.408,00 EUR verfügte, aus übergegangenem Recht gemäß § 94 Abs. 2 SGB XII auf rückständigen und laufenden Unterhalt i.H.v. monatlich 26,00 EUR seit 1.3.2007 und i.H.v. 27,69 EUR seit 1.1.2009 in Anspruch.
AG und OLG haben die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass dem Beklagten ein angemessener Selbstbehalt von 1.400,00 EUR verbleiben müsse. Hiergegen wandte sich der Kläger mit der zugelassenen Revision, mit der er den Unterhaltsanspruch weiter verfolgte.
Die Revision hatte keinen Erfolg.
Entscheidung
Ebenso wie die Vorinstanzen vertrat auch der BGH die Auffassung, dass der Beklagte wegen des ihm zu belassenden erhöhten Selbstbehalts nicht leistungsfähig sei. § 1603 Abs. 1 BGB solle jedem Unterhaltspflichtigen vorrangig die Sicherung seines eigenen angemessenen Unterhalts gewährleisten. Ihm hätten grundsätzlich die Mittel zu verbleiben, die er zur angemessenen Deckung des seiner Lebensstellung entsprechenden allgemeinen Bedarfs benötige. Die Bemessung im konkreten Einzelfall obliege dem Tatrichter, der sich dabei an den in Tabellen und Leitlinien angeführten Erfahrungswerten orientieren könne. Allerdings sei es im vorliegenden Fall gerechtfertigt, den Selbstbehalt mit einem erhöhten Betrag wie beim Elternunterhalt zu bemessen. Dieser auch für den Enkelunterhalt verwendete Selbstbehalt werde in den Tabellen und Leitlinien als Mindestbetrag angesetzt und ggf. noch dadurch angehoben, dass dem Unterhaltspflichtigen etwa ein hälftiger Anteil seines für den Elternunterhalt einsetzbaren bereinigten Einkommens zusätzlich verbleibe.
Habe das Kind - wie in dem hier vorliegenden Fall - bereits eine eigene Lebensstellung erlangt, in der es auf elterlichen Unterhalt nicht mehr angewiesen sei, könne in der Regel davon ausgegangen werden, dass es diese Elternunabhängigkeit auch behalte. Hierauf dürften sich grundsätzlich auch die Eltern einstellen. Mit Rücksicht darauf sei es gerechtfertigt, den Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen gegenüber einem erwachsenen Kind, das seine bereits erlangte wirtschaftliche Selbständigkeit wieder verloren haben, mit einem erhöhten Betrag, wie er in den Tabellen und Leitlinien insoweit als Mindestbetrag für den Elternunterhalt vorgesehen sei, anzusetzen.
Danach sei der Beklagte unter Zugrundelegung des angemessenen Selbstbehalts gegenüber Eltern von 1.400,00 EUR monatlich nicht in der Lage, Unterhalt an seine erwachsene Tochter zu zahlen.
Hinweis
Mit der wirtschaftlich selbständigen Lebensstellung eines Kindes tritt unterhaltsrechtlich eine Zäsur ein. Eltern dürften sich von diesem Zeitpunkt an darauf einstellen, Unterhalt nicht mehr leisten zu müssen.
Link zur Entscheidung
BGH, Urteil vom 18.01.2012, XII ZR 15/10