Rz. 8
Die Kündigung des Mietverhältnisses kann auch im Prozess erfolgen. Eine Prozessvollmacht ermächtigt den Bevollmächtigten auch zu materiell-rechtlichen Willenserklärungen, wenn sie sich auf den Gegenstand des Rechtsstreits beziehen; solche Erklärungen sind auch dann von der Prozessvollmacht umfasst, wenn sie außerhalb des Prozesses abgegeben werden. Im gleichen Umfang, wie die Prozessvollmacht zur Abgabe von Erklärungen befugt, ermächtigt sie auch den Prozessbevollmächtigten der Gegenseite zu deren Empfangnahme (BGH, Urteil v. 18.12.2002, VIII ZR 72/02, GE 2003, 318).
Anwaltsprozess
Im Anwaltsprozess wird die Schriftform dadurch gewahrt, dass dem Gegner eine beglaubigte und eine einfache Abschrift des die Kündigung enthaltenen Schriftsatzes durch das Gericht zugestellt wird. Nicht ausreichend für die Einhaltung der Schriftform ist es, wenn die Kündigung im Verhandlungstermin zu Protokoll des Gerichts erklärt wird. Der Prozessbevollmächtigte des Mieters ist zum Empfang der Kündigung bevollmächtigt, sobald er den Auftrag von seinem Mandanten erhalten hat, gegen die Wirksamkeit der Kündigung vorzugehen (LG Berlin, Urteil v. 16.8.2011, 65 S 422/10, GE 2011, 1310).
Der Mieter kann die von dem Prozessbevollmächtigten des Vermieters im Prozess erklärte Kündigung nicht deswegen zurückweisen, weil dieser die Prozessvollmacht nicht beigefügt war (BGH, Urteil v. 18.12.2002, VIII ZR 72/02, ZMR 2003, 406; KG Berlin, Urteil v. 22.2.2010, 20 U 80/08, ZMR 2010, 279; LG Berlin, Teilurteil v. 30.9.2008, 29 O 303/08, GE 2009, 719; LG Berlin, Urteil v. 27.6.2003, 65 T 57/03, GE 2003, 1081). In der Erhebung einer Räumungsklage und in weiteren Prozesshandlungen eines Räumungsrechtsstreits kann eine schlüssige Kündigungserklärung liegen, wenn mit hinreichender Deutlichkeit der Wille des Klägers erkennbar ist, die Prozesshandlung solle daneben auch eine materiell-rechtliche Willenserklärung enthalten (BGH, Urteil v. 9.7.2003, VIII ZR 26/03, ZMR 2003, 819), was grundsätzlich zu verneinen ist (LG Wuppertal, Beschluss v. 4.8.2021, 9 T 128/21, GE 2021, 1065).
Allerdings ist die ZPO nunmehr ebenfalls durch das Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr geändert worden. § 130a Abs. 1 ZPO regelt das elektronische Dokument. Soweit für vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen, für Anträge und Erklärungen der Parteien die Schriftform vorgesehen ist, genügt dieser Form die Aufzeichnung als elektronisches Dokument, wenn dieses für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist. Die verantwortende Person soll das Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen. Im Rahmen des § 174 muss in diesem Zusammenhang keine Vollmachtsurkunde dem Gegner zugestellt werden, die Prozessvollmacht genügt insofern.
Nicht jede Klage im Räumungsverfahren stellt "automatisch" eine Kündigungserklärung dar. Daher muss sich aus dem entsprechenden Schriftsatz klar und eindeutig ergeben, dass neben der Prozesshandlung eine materiell-rechtliche Kündigungs-Willenserklärung abgegeben wird (BayObLG, Urteil v. 14.7.1981, Allg. Reg. 32/81, NJW 1981, 2197; OLG Hamm, Urteil v. 26.11.1991, 7 U 121/91, NJW-RR 1993, 273; noch weitergehend: BGH, Beschluss v. 6.11.1996, XII ZR 60/95, ZMR 1997, 280).
Rz. 9
Hat eine der Mietvertragsparteien – gleich aus welchem Grund, ob fristlos oder fristgemäß – das Mietverhältnis gekündigt und kommt es deswegen zum Rechtsstreit, entweder von Vermieterseite aus mit dem Räumungsanspruch oder von Mieterseite aus mit dem Feststellungsanspruch, dass das Mietverhältnis wegen der Kündigung beendet ist, empfiehlt es sich, jeweils mit Entstehen eines weiteren, neuen Kündigungsgrundes (z. B. weiterer Zahlungsverzug, weitere vertragswidrige Handlungen, weitere Gründe im Hinblick auf § 543) neue Kündigungen auszusprechen. Dies kann außerhalb des Prozesses, neben dem laufenden Rechtsstreit, aber auch – wie schon dargestellt – im Prozess geschehen. Im Praxisalltag des Mietprozesses ist es oft zu beobachten, dass die Parteien längere Zeit durch die Instanzen über eine Kündigung streiten, das Gericht womöglich in der zweiten Instanz erst die Kündigung (vielleicht wegen eines Formmangels) als unwirksam ansieht und deswegen die Räumungsklage abgewiesen werden muss, obwohl in der Zwischenzeit weitere Kündigungsgründe entstanden waren, im Eifer des Rechtsstreits aber vergessen worden ist, erneut zu kündigen. Weitere Kündigungen können in den Prozess im Wege der Klageänderung nach § 263 ZPO eingeführt werden, wobei die Partei sich auch nur hilfsweise auf die neuen Kündigungen in angegebener Reihenfolge stützen kann. Dann stellt sich die Frage der Sachdienlichkeit der Klageänderung, wenn der Gegner nicht zustimmt. Diese dürfte jedoch nur bei einer Klageänderung in der Berufungsinstanz problematisch werden.
Mit dem zum 1.1.2002 in Kraft getretenen Zivilprozessreformgesetz ist das Berufungsverfahren wesentlich geändert und die bisherige Au...