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Das Kündigungsrecht besteht immer dann, wenn der vertragsmäßige Gebrauch der gemieteten Sache nicht rechtzeitig gewährt oder wieder entzogen wird. Dabei kommt es auf den Inhalt und Umfang des vertragsmäßigen Gebrauchs an. Dazu gehört nicht nur die Überlassung der gemieteten Sache, sondern auch die Überlassung ohne Sach- oder Rechtsmängel i. S. d. §§ 536 ff. oder mit der zugesicherten Eigenschaft (BGH, Urteil v. 4.5.2005, XII ZR 254/01, GE 2005, 861; Schmidt-Futterer/Streyl, § 543 Rn. 103, 117). Dem Mieter, der Räume von einem nicht verfügungsberechtigten Vermieter gemietet hat, wird der vertragsgemäße Gebrauch bereits dadurch entzogen, dass der wahre Berechtigte nicht bereit ist, dem Mieter die Mietsache zu den mit dem Vermieter vereinbarten Konditionen zu überlassen. Nicht erforderlich ist, dass der drittberechtigte Eigentümer seine Rechte tatsächlich durchsetzt oder gerichtlich geltend macht. Schon die mündliche Ankündigung kann für den Mieter Anlass genug sein, den Gebrauch zu unterlassen oder aufzugeben (BGH, Urteil v. 10.7.2008, IX ZR 128/07, GE 2008, 1253).
Ist infolge dieses Sach- oder Rechtsmangels der vertragsmäßige Gebrauch der Mietsache von Anfang an nicht möglich, liegt ein Fall der Nichtgewährung vor. Dies ist auch dann anzunehmen, wenn die im Vertrag angegebene Fläche hinter der tatsächlichen Fläche der Mieträume um mehr als 10 % zurückbleibt (vgl. BGH, Urteil v. 4.5.2005, XII ZR 254/01, a. a. O.; BGH, Urteil v. 24.3.2004, VIII ZR 295/03, WuM 2004; OLG Dresden, Urteil v. 10.7.2019, 5 U 151/19, NZM 2019, 784; OLG Brandenburg, Urteil v. 6.1.2015, 6 U 134/13, GE 2015, 590). Da der hierin liegende Fehler in aller Regel vom Vermieter nicht beseitigt werden kann, dürfte grundsätzlich ein Kündigungsrecht bestehen, ohne dass es einer Abhilfefrist nach Abs. 3 bedarf. Allerdings wird man ein Kündigungsrecht dann nicht zubilligen können, wenn der Mieter seit Beginn des Mietverhältnisses den Gebrauch der Mieträume ausgeübt hat, ohne eine abweichende Größe zu beanstanden. Insoweit wird es an der nach Abs. 1 Satz 2 erforderlichen Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses fehlen, zumal die Flächendifferenz durch einen geminderten Mietzins sowohl für die Vergangenheit (§ 812 Abs. 1 Satz 1) als auch für die Zukunft (§ 536) ausgeglichen werden kann (vgl. oben § 536 Rn. 12 und Bieber, MietRB 2004, 331 ff.).
Tritt der Sach- oder Rechtsmangel nach Überlassung des Mietbesitzes auf, so liegt hierin eine Gebrauchsentziehung. Beide berechtigen zur fristlosen Kündigung gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, wenn es sich um eine nicht unerhebliche (§ 543 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 536b) Änderung oder Vorenthaltung des Gebrauchs handelt.
Der vertragsgemäße Zustand einer Mietsache richtet sich grundsätzlich nach dem Zustand der Mietsache bei Vertragsabschluss sowie danach, was die Parteien als vertragsgemäß vereinbart haben. Haben die Parteien in der zum Bestandteil des Mietvertrages gemachten Grundrisszeichnung eingetragen, dass eine "Stufe vorhanden" ist zwischen den als "Praxisraum 1 neu" und "Praxisraum 2 neu" bezeichneten Räumen der erweiterten Flächen für eine physiotherapeutische Praxis, kann der Mieter eine außerordentliche Kündigung des Vertrages nicht auf eine fehlende Barrierefreiheit stützen (OLG Brandenburg, Urteil v. 6.1.2015, 6 U 134/13, GE 2015, 590). Verändert sich der Zustand der Mietsache wesentlich in der Zeit zwischen Besichtigung der Mietsache und Vertragsabschluss und weist der Vermieter bei Vertragsabschluss nicht darauf hin, ist aber als vertragsgemäßer Zustand derjenige geschuldet, der zum Besichtigungstermin vorhanden war (LG Berlin, Urteil v. 5.4.2005, 65 S 366/04, GE 2005, 739: Austausch einer hochwertigen gegen eine einfache Einbauküche).
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Ein Fall der nicht rechtzeitigen Gewährung des vertragsgemäßen Gebrauchs liegt vor, wenn dem Mieter der Mietgebrauch nicht zu dem vertraglich vereinbarten Termin überlassen wird. Ist hinsichtlich des Mietbeginns keine ausdrückliche Regelung getroffen, und lässt sich der Beginn auch nicht aus den Umständen entnehmen, ist der Anspruch auf Überlassung sofort fällig (§ 271 Abs. 1).
Ist vereinbart, dass sich der Einzugstermin in Folge von vom Vermieter noch vorzunehmenden Arbeiten verzögern kann, kann der Mieter kündigen, wenn der nach den zeitlichen Vorstellungen beider Parteien vorgesehene Einzugstermin sich trotz Fristsetzung erheblich verzögert (LG Berlin, Urteil v. 25.5.1993, 64 S 2/93, GE 1993, 919). Die bloße Ungewissheit über den Einzugstermin reicht nicht aus (LG Hamburg, Urteil v. 30.11.1973, 11 O 162/72, MDR 1974, 583). Ein Verschulden des Vermieters ist ebenso wenig erforderlich (BGH, LM Nr. 6 zu § 542 = NJW 1974, 2233) wie die Behebbarkeit des Mangels.
Die Kündigung seitens des Mieters ist auch dann gerechtfertigt, wenn die Mietsache in einem vertragswidrig mangelhaften Zustand überlassen wird (Schmidt-Futterer/Streyl, § 543 Rn. 100). Das wäre der Fall, wenn der Vermieter seine Verpflichtung, gewerblich zu nutzende Räume nach einem vereinb...