Leitsatz

Bei Anwendung des Art. 111 Abs. 1 S. 1 FGG-RG ist zu beachten, dass es sich bei dem Erbscheinserteilungsverfahren gem. § 2353 BGB um ein ausschließliches Antragsverfahren handelt, das erst durch den Eingang des Antrags beim Nachlassgericht eingeleitet wird.

Der EuGHMR hat zwar entschieden, dass die Regelung des Art. 12 I § 10 Abs. 2 S. 1 NEhelG, nach der die vor dem 01.07.1949 geborenen nichtehelichen Kinder von der Erbfolge nach ihrem Vater ausgeschlossen sind, gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 14 i.V.m. Art. 8 EMRK verstößt, jedoch fehlt der für eine konventionsgemäße Auslegung der Norm erforderliche Auslegungs- und Abwägungsspielraum. Ein vor der Entscheidung des EuGHMR verstorbener Erblasser darf auf die Grundsatzentscheidung des BVerfG vom 08.12.1976 (NJW 1977, 1677) und damit auf die Gültigkeit des Art. 12 I § 10 Abs. 2 S. 1 NEhelG vertrauen.

 

Sachverhalt

Die Antragstellerin ist das nichteheliche und einzige Kind des Bruders der am 05.02.2009 verstorbenen Erblasserin. Sie wurde am 25.04.1931 geboren, die Vaterschaft am 22.05.1931 anerkannt. Die Erblasserin starb kinderlos, ihre Eltern sind vorverstorben. Nach Ermittlung der Geschwister und deren Nachkommen beantragte die Antragstellerin einen Erbschein, der sie als Miterbin zu 1/5 ausweist. Das Nachlassgericht hat den Antrag durch Beschluss gem. § 38 FamFG zurückgewiesen; auch der hiergegen gerichteten Beschwerde hat es nicht abgeholfen. Am 23.11.2009 wurden die Akten dem OLG zur Entscheidung vorgelegt, das die befristete Beschwerde zurückgewiesen hat.

 

Entscheidung

Die befristete Beschwerde ist gem. §§ 58 ff. FamFG zulässig. Die Erbscheinserteilung setzt immer einen entsprechenden Antrag voraus, § 2353 BGB, und darf nicht von Amts wegen eingeleitet werden. Somit ist gem. Art. 111 Abs. 1 S. 1 FGG-RG das neue Recht anzuwenden. Gegen der Beschluss gem. § 38 FamFG ist die Beschwerde gem. § 58 Abs. 1 FamFG statthaft. Das OLG ist gem. § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG n.F. i.V.m. § 23a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 GVG n.F., § 38 LFGG zuständig. Der Durchführung einer mündlichen Verhandlung bedarf es nicht, da ausschließlich Rechtsfragen entscheidungserheblich sind, § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG.

Die Beschwerde ist unbegründet und wird durch Beschluss zurückgewiesen, § 69 FamFG. Da die Antragstellerin vor dem 01.07.1949 geboren wurde, steht ihr gem. des Art. 12 I § 10 Abs. 2 S. 1 NEhelG als nichtehelicher Tochter des vorverstorbenen Bruders kein Erbrecht zu. Die Antragstellerin stützt ihre Beschwerde darauf, dass der EuGHMR entschied, dass diese Regelung gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 14 i.V.m. Art. 8 EMRK verstößt (Individualbeschwerde Nr. 3545/04, FamRZ 2009, 1293), und verweist zudem auf den "Görgülü-Beschluss" des BVerfG v. 14.10.2004 (NJW 2004, 3407). Hiernach erstreckt sich die Bindungswirkung einer Entscheidung des EuGHMR gem. Art. 59 Abs. 2 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG auf alle staatlichen Organe und Gerichte.

Das BVerfG hat dennoch die Verfassungsmäßigkeit dieser Norm mehrfach bestätigt. So hat es unter Berücksichtigung der Grundsatzentscheidung vom 08.12.1976 (BVerfG, NJW 1977, 1677) festgestellt, dass das Vertrauen des Erblassers auf die Fortgeltung des bisherigen Rechtszustandes die Beeinträchtigung der Grundrechte aus Art. 6 Abs. 5, 3 Abs. 1 GG durch Art. 12 I § 10 Abs. 2 S. 1 NEhelG gerechtfertigt ist (FamRZ 2004, 433). Gerade durch die Grundsatzentscheidung hat der Aspekt des Vertrauensschutzes noch an Bedeutung gewonnen, da Erblasser hiernach davon ausgehen konnten, dass die verfassungsrechtliche Lage im Hinblick auf die erbrechtliche Stellung der vor dem 01.07.1949 geborenen nichtehelichen Kinder geklärt sei. Der Senat macht sich sowohl die Begründung der zuvor zitierten Entscheidungen als auch die des OLG Saarbrücken (OLGReport Saarbrücken 2003, 448) zu Eigen.

Die Berücksichtigung der Entscheidung des EuGHMR führt zu keiner anderen Beurteilung. Der EuGHMR hat u.a. festgestellt, dass seiner Auffassung nach die mit der Beibehaltung der angegriffenen Bestimmung verfolgten Ziele, nämlich die Gewährleistung von Rechtssicherheit und der Schutz des Erblassers und seiner Familie rechtmäßig sein dürfte (Rz. 41). Der Argumentation des BVerfG sei in der vorliegenden Sache nicht zu folgen, weil zwischenzeitlich der Schutz des Vertrauens des Erblassers und seiner Familie dem Gebot der Gleichbehandlung nichtehelicher und ehelicher Kinder unterzuordnen sei. Bereits im Urteil vom 13.06.1979 (Marckx ./. Belgien, Rz. 54-59) habe er festgestellt, dass die aus erbrechtlichen Gründen vorgenommene Unterscheidung eine Frage nach Art. 14 i.V.m. Art. 8 EMRK aufwerfe (Rz. 43).

Danach stellte der EuGHMR nunmehr auf 3 entscheidungserhebliche Fragen ab: (1) die familiäre Verbindung zwischen dem Erblasser und seiner nichtehelichen Tochter, die er unmittelbar nach der Geburt anerkannte, zu der er trotz der durch die deutsche Teilung bedingten schwierigen Umstände immer regelmäßigen Kontakt gehabt habe, und neben der weder eine Ehefrau noch Abkömmlinge ersten Grades vorhande...

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