Entscheidungsstichwort (Thema)

Beteiligungsbefugnis einer Gewerkschaft im Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG. Antragsverfahren zur Prüfung des Bestehens einer betriebsratsfähigen Organisationseinheit nach § 18 Abs. 2 BetrVG. Prüfung der Betriebsratsfähigkeit einer Organisationseinheit als Rechtsverhältnis i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO. Betroffene Organisationseinheit i.S.d. § 18 Abs. 2 BetrVG. Rechtskraftwirkung eines Beschlusses nach § 18 Abs. 2 BetrVG. Auslegung von Gesetzen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Verfahren zur Klärung, ob eine betriebsratsfähige Organisationseinheit vorliegt (§ 18 Abs. 2 BetrVG), ist eine Gewerkschaft nicht zu beteiligen, wenn sie selbst keinen Antrag nach § 18 Abs. 2 BetrVG stellt (im Anschluss an die Rechtsprechung zu § 19 Abs. 2 BetrVG, vgl. nur BAG 19. September 1985 - 6 ABR 4/85 -).

2. Ob das Vorliegen einer betriebsratsfähigen Organisationseinheit i.S.d. § 18 Abs. 2 BetrVG zweifelhaft ist, ist Bestandteil der Prüfung der Begründetheit eines entsprechenden Antrags. Nur bei völliger Offenheit, ob ein Streit über eine betriebsratsfähige Organisationseinheit entstehen kann, kann es schon am Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO fehlen.

3. "Zweifelhaftigkeit" i.S.d. § 18 Abs. 2 BetrVG liegt nicht vor, wenn sie nicht die Organisationseinheit betrifft, auf die sich die Antragstellung bezieht. Eine solche Betroffenheit liegt nicht schon dann vor, wenn in anderen Organisationseinheiten die Wahl von Betriebsräten geplant ist, sodann die Errichtung eines Gesamtbetriebsrats folgen und dieser nach § 17 Abs. 1 BetrVG einen Wahlvorstand in der vom Antrag umfassten Organisationseinheit bestellen soll.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei der gemäß § 18 Abs. 2 BetrVG zu prüfenden Betriebsratsfähigkeit einer Organisationseinheit handelt es sich um ein Rechtsverhältnis i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO. Diese Vorschrift ist deshalb auch im Beschlussverfahren anwendbar. Ein über das Feststellungsinteresse hinausgehendes Rechtschutzinteresse ist nicht erforderlich.

2. In der Regel wirken gerichtliche Entscheidungen, die zwischen den Betriebsparteien ergangen sind, auch im Verhältnis der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu ihrem Arbeitgeber, die von dieser Entscheidung inhaltlich betroffen sind und wenn das Verhältnis durch betriebsverfassungsrechtliche Normen bestimmt ist. Das gilt insbesondere für rechtsgestaltende Entscheidungen wie z.B. eine Wahlanfechtung sowie bei feststellenden Statusentscheidungen, z.B. bei der Feststellung des Vorliegens einer betriebsratsfähigen Organisationseinheit nach § 18 Abs. 2 BetrVG.

3. Für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte.

 

Normenkette

BetrVG § 18 Abs. 2; ArbGG § 83 Abs. 3; ZPO § 256 Abs. 1; BetrVG § 17 Abs. 1, § 19 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Karlsruhe (Entscheidung vom 08.03.2023; Aktenzeichen 9 BV 3/23)

 

Tenor

  1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 8. März 2023 - 9 BV 3/23 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
 

Gründe

A.

Die Antragstellerin ist eine Fluggesellschaft mit Sitz in Malta und führt unter maltesischer Fluglizenz Flüge von und zu Flughäfen in diversen europäischen Staaten, unter anderem Deutschland, durch. Sie unterhält an verschiedenen Flughäfen in Italien, Frankreich, Malta, Österreich, Dänemark, Schweden, Rumänien und Deutschland sog. "Basen" (englisch "bases").

Die Antragstellerin hat vorgetragen, sie unterhalte in Deutschland insgesamt an sieben Flughäfen Basen mit identischen Strukturen. Neben Karlsruhe/Baden-Baden seien dies die Flughäfen Niederrhein/Weeze, Berlin-Brandenburg, Nürnberg, Hahn, Köln/Bonn und Memmingen. Eine übergreifende Struktur gebe es in Deutschland nicht. Der gesamte Leitungsapparat sowie sämtliche Verwaltungseinheiten wie die Personalabteilung seien auf Malta angesiedelt. Die Einsatzplanung erfolge ausschließlich in der Konzernzentrale in Irland. Dort sowie in Malta werde auch über Urlaubsanträge der in Deutschland stationierten Piloten und Flugbegleiter entschieden. Entscheidungen über Einstellungen sowie Entlassungen würden in Malta, zum Teil in Abstimmung mit der Zentrale in Irland, vorgenommen. Disziplinarische Angelegenheiten würden in Malta erledigt. Trainings- und Fortbildungsmaßnahmen plane und steuere die Trainingsabteilung in Dublin. Nur selten - ca. zweimal jährlich - und in unregelmäßigen Abständen besuchten Vertreter der zentralen Abteilung die einzelnen Basen.

Sie verfüge an den einzelnen Basen auch nicht über Räumlichkeiten, die für die Begründung eines Betriebs im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes in räumlicher Hinsicht ausreichten. Die Basen s...

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